Samstag, 22. April 2006

Einsamkeit

Selbstgespräche endlich bemerkt: meistens Unmutsäußerungen über mich selber an mich selber. Beschlossen, mich nur noch auf italienisch selber zu beschimpfen, dann beginnt so ein fröhliches Summen im Hinterkopf. Dio cane.

Nachgedacht, ob ich vielleicht einsam bin, aber ich weiß gar nicht mehr genau, was das ist: Einsamkeit, sicher doch ein Mangel, oder? Aber am allermeisten fehlt ja doch Zeit, im kleinen als Minute, und im großen, als übrige Lebensplanzeit.

Einsamkeit funktioniert bei mir als so ein negativer Gegenentwurf, mit einzwei Argumenten kriegt man sie immer wieder weit genug weg vom eignen Alltag, sie ist heutzutage ein hässlicher Makel: Hey, was sind wir alle beliebt, an dem ein Rattenschwanz aus anderen Makeln hängt: Sozial erfolglos! Häßlich! Nicht witzig! Nicht unterhaltsam! Eigentlich nicht modern! Schon fast dumm! Auf jeden Fall selber, selber, selber schuld.

(Arm darf man ja sein inzwischen.)

Man müßte das mal ausprobieren, also in Gesprächen sagen: ich fühle mich einsam oder ich fühl mich allein, beim ersten hätte man betretenes Schweigen oder elegantes Überhören, beim zweiten die Aufforderung dann ruf doch mal an zur Antwort vermutlich.

Dabei hatte die Einsamkeit als Freiheit von Bezügen jeder Art auch mal was rauschhaft Verlockendes, die Eremitage mit Wein, Tisch und einem immer leeren Blatt Papier. Mitten in Umbrien, natürlich, mit Blick auf die Jahrhunderte Kultur und Zivilisation, die humanistische Landschaft, distanza intrinseca, ein Mensch der auf all das verzichtet, was ihn erschaffen hat.

Alleinsein, das trifft es besser. Das ist kleiner, transitorisch, oberflächlicher. Alleinsein ist das Ergebnis so einer logistischen Nachlässigkeit: öfters nicht zurückgerufen/ keinen angerufen, und auch das nächtliche Alleinsein ist eine Konsequenz. Allein ist man abends bei der Nagelpflege, der Netzlese, dem DVD-gucken und lesen.

Aber wäre es nicht nett, noch wen daneben zu haben, der seine eigenen Nägel poliert, so als Beispiel? Ja, wäre es. Nein, eher nicht. Ich habe überhaupt keine Ahnung, was mir lieber wäre, find ich selber komisch. Das liegt daran, dass ich im Heut und Jetzt lebe, und der Weg dahin war ein steiniger, und, ja: auch ein einsamer Weg, und man kommt und kommt nicht an. Aber nicht die Alleinsein-Einsamkeit, die kommt und geht je nach Hormonstand, sondern die klassische, existentielle, nur Subjekt und Realität (Gewissen und Geschichte).

Ich bin dann demzufolge: manchmal einsam, häufig allein. Und schlimm ist das beides nicht, es gehört zum Sortiment, es sind halt so Teilaspekte.

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caliente_in_berlin - 22. April, 13:58

Gedanken, die kreisen, wenn die Zeit dazu ist...
Wir alle haben sie, mal mehr, mal weniger, manchmal positiv, öfter negativ.
Deshalb möchte ich auch gar nichts weiter dazu sagen, sondern lieber mein persönliches "best of" aus diesem Text ziehen:
"Beschlossen, mich nur noch auf italienisch selber zu beschimpfen, dann beginnt so ein fröhliches Summen im Hinterkopf. Dio cane."
"Dabei hatte die Einsamkeit als Freiheit von Bezügen jeder Art auch mal was rauschhaft Verlockendes, die Eremitage mit Wein, Tisch und einem immer leeren Blatt Papier. Mitten in Umbrien (...)"
"Und schlimm ist das beides nicht (...)"

p (Gast) - 22. April, 18:54

einfach nur Danke. Und:
[...] Und das geschah fast dreihundert Jahre bevor ein Charles Baudelaire die melancholische Einsamkeit als furchtbares Spiegelkabinett der Seele entdeckte, und fast fünfhundert Jahre bevor die Einsamkeit des heutigen Menschen zum Grundmotiv sentimentalischer Sorge wurde, zumal in der Vorweihnachtszeit. Die Angelegenheit hat Geschichte, man ist in guter Gesellschaft.


Wobei das ja immer in Wellenbewegungen etc. (also die gute Gesellschaft ist ja nun schon auch wieder ein paar Jährchen her) und ist sicherlich eines der letzten ganz großen Tabus in 'der heutigen Zeit' (sorry, mir fällt grad kein anderer Begriff ein), vielmehr, jede Hausfrau (Nein, hab ich gar nichts gegen, jetzt nur mal als Bild) kann sich ja mittlerweile über Latexklamotten mit ihren Freundinnen unterhalten wie einst über Tupperware, sxlle Tabus ist auch nicht mehr. Naja. Und andererseits: da ist es doch fast schön, dass es dann doch noch ein paar Tabus gibt. So wie eben die Einsamkeit (genug metaabgeklärt - trotzdem sch*ßeanstrengend manchmal;) Einfach nur nochmal Danke für den Text. Bringt ein bisschen zum nachdenken. Und dann kauft man sich ganz schnell Logitech Boxen:)

alex (Gast) - 23. April, 11:55

Eine andere Perspektive

Einsamkeit kann man suchen oder flüchten, Alleinsein nicht. Alleinsein ist existentiell. In der Menge fühle ich mich meist sehr allein, aber niemals einsam. Man wird allein gelassen, das ist etwas, was einem andere antun, man erleidet es. Dagegen ist man ohnmächtig. Zum Vereinsamen dagegen trägt man selber bei. Man kümmert sich nicht um neue Kontakte. Auch die zusammengesetzen Wörter deuten in diese Richtung. "Mutterseelenallein" trifft das vollkommene Verlassensein, das Geworfensein, während "Waldeinsamkeit" z.B. eher eine romantische Konnotation an, der selbstgewählte Rückzug von der wuselnden Alltagswelt in die die Seele beruhigende Natur. Folgendes Gedicht von Dieter Leisegang drückt die Differenz zwischen den Begriffen recht eindrucksvoll aus:

Einsam und allein
Einsam und allein
Einsam ist ja noch zu leben
Hier ein Ich und dort die anderen
Kann durch die Alleen wandern
Und auf Aussichtstürmen schweben

Einsam ist noch nicht allein
Hat noch Augen, Ohren, Hände
Und das Spiel der Gegenstände
Und die Trauer, da zu sein
Doch allein ist alles ein
Ist nicht da, nicht dort, nicht eben
Kann nicht nehmen oder geben
Leergelebt und allgemein

Casino - 23. April, 13:44

Ja, aber sie unterscheiden sich nur in diesem semantischen Rahmen, da hört sich Ensmkt ja schon fast wie ein Euphemismus an. Wenn Du schreibst: in der Menge fühle ich mich allein, dann lese ich dadrin, in deinem Kontext, eher Einsamkeit und nicht "nur" Alleinsein, also etwas, das dich von der Menge trennt und nicht die Menge von dir.

Habe gestern einer ital. Freundin davon erzählt, sie meinte: Das ist doch selbstverständlich in Deutschland, jeder akzeptiert seine Einsamkeit, die ist allgemein anerkannt. Und tatsächlich ist das anders in Italy, man kann es sehr schwer erklären, nur beschreiben. In Italien fühle ich mich zb niemals allein in der Menge, weil da dieses ganze Abgrenzungszeug nicht son Thema ist wie hier, es gibt tatsächlich einen Unterschied der Kulturen. Die Leut sind sich zumindest in Italien näher und sind (yeah. verallgemeinerung rules) nicht so ennervierend angstgesteuert, Angst, sich blosszustellen, etwas privates preiszugeben, die allgemeine große Scham immer, die nicht zum Alleinsein, wohl aber zur Einsamkeit viel beisteuert.

alex63 - 23. April, 19:43

das ist bei mir egal, ob das eine italienische, deutsche oder chinesische menge ist. mengen erzeugen eine abwehr bei mir, vor allem die dort auftretenden massenreaktionen, im schlimmsten fall die massenpsychose. da fühle ich mich manipuliert. aber einsam in der menge macht keinen sinn. in der menge fühle ich mich verloren, alleingelassen von den menschen. am schlimmsten sind die demos. dieses diffuse wir-gefühl zwischen menschen, die sich überhaupt nicht kennen, das eigentlich nur ein rausch ist. obwohl ich räusche eigentlich liebe.
Casino - 25. April, 09:32

Ja, Massenpsychosen mag ich auch nicht. Aber an Demos habe ich nur die allerbesten Erinnerungen, gerade das diffuse wir-gefühl hab ich immer sehr genossen, und das man sich dafür erst kennen muss, für ein wir-gefühl, das halte ich auch für ein Gerücht.

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