In 10 Tagen mehr Sonne als sonst in einem italienischen Sommer, eine blendende Sonnne, die um 11 Uhr abends mitten durch die Windschutzscheibe fällt und das neue Land erst mal wieder unsichtbar macht.
Zu Erian und Ingrid kommen jedes zweite Jahr zwischen 60 und 100 Menschen zu einer 4tägigen Mittsommerparty, aus Schweden, Norwegen, Frankreich und Dänemark und Deutschland. Die beiden haben sich vor 5 Jahren eine alte Dorfschule gekauft, ein riesiges Haus mit vielen Zimmern in der südschwedischen Pampa. Der Besuch zeltet im großen Garten und bringt die Getränke mit, die Gastgeber besorgen das Essen. Gegessen wird an langen Biergartenbänken, die es in Schweden nicht gibt und die ein deutscher Gast vor Jahren mal im Anhänger mitgebracht hat, ach ja, und zum Frühstück backt ein Mensch mit blondem Afrolook jeden Tag wunderbare duftende Brote für alle, 8 oder 9 Laiber pro Morgen. Das ist doch was, in Schweden.
Dauernd Gespräche über Texte und Kunstwerke, von denen ich nie gehört habe. Eine Norwegerin, japanisch aussehend, erzählt von einem Vorwort, das sie gerade schreibt, und sie nennt den Autor trotz Nachfragen nicht, er sei vollkommen unbekannt im Ausland da nicht übersetzt.
Um drei Uhr morgens, Sonnenaufgangszeit, bin ich nach zwei Stunden sehr wildem Tanzen und Vodkatrinken in ein Gespräch mit 2 Norwegern geraten, der eine ein echter Hippie mit Langhaar und tütigen Klamotten, der andere ein stiller und trauriger Mensch. Der ruhige arbeitet in der oil industry, der andere ist Musiker. Als ich dazukomme, wechseln sie mitten im Satz zu Englisch und legen in weiten Amplituden die norwegische Umweltpolitik dar, beide von gegenüberliegenden Seiten, aber völlig frei von Fundamentalismus, beharrlich und entspannt, ungerührt vom Partychaos drumrum. You see, nature is different in norway, sagt mir der eine, aber ich stehe schnell wieder auf und gehe weiter tanzen, und noch während ich an ihnen vorbeilaufe, wechseln sie wieder ins Norwegische.
An einem anderen Abend sitzen fast alle Erwachsenen, ca. 50 Leute, um eine Feuerstelle und singen eine nicht enden wollende Reihe von schönen, wilden oder traurigen, alten und neueren vielstrophigen Liedern, in bester Laune und mehrstimmig. Wir Deutschen sitzen in einer kleineren Gruppe dabei und merken mal wieder das wir das nicht haben. Singen macht Spass. Als es schon hell wird, fällt einer norwegischen Pianistin ein französisches Lied ein, vielleicht 15.Jh., wir üben die Stimmen und kriegen einen ganz hübschen Choral hin, alles mit warmem Bier und kalten Füßen.
Lauter Norweger, meine ersten überhaupt, was sicher an mir liegt. Dunkelhaarig, blauäugig, Plaudertaschen mit sehr alten Autos und Motorrädern (eine BMW von 1938, und eine wunderschöne alte Triumph) und erstaunlicher Trinkfestigkeit. Einer stand morgens um 8 vor meinem Zelt und sang der Hahn ist tot, und freute sich, das ihm doch noch ein deutsches Lied eingefallen ist.
Am letzten Abend noch Peer, ein dünner Mann mit einem Volvo und einem Hut aus den Fünfzigern, der mich in fast allem an einen Berliner Freund erinnert, den ich für absolut einzigartig gehalten habe. Gleiche Geschwindigkeit, das gleiche wunderbare Partikulärwissen über Nebenstranggeschichten, die Neugierde, und er hopst vor Begeisterung, wenn ihm etwas gefällt, genau wie slowtiger.
Wie man mit Fremden wunderbar ausrasten kann beim Tanzen, plötzlich wieder über nicht ausgehende Kraft verfügend, hohe Sprünge, direkt am Motor des Lebens hängend, einmal wieder Kurbelwelle sein, federnd und zielsicher herumspringend oder federleicht und verspielt der Musik folgend. Im Kreise der Lieben, weil meine Kinder wie die Kinder dieser ganzen Leute einige Dutzend Meter weiter in den Zelten schlafen.
Dann weiter nach Dänemark, wo zwei andere Freunde sich ein Haus auf der Insel Fejø gekauft haben. Eine perfekte Insel, 600 Einwohner, Meer, Sand und Versteinerungen, mit einem Polizisten, der nur jeden zweiten Dienstag kommt, und dann bei Fleming vorbeischaut, weil der schwarzbrennt. Und ich habe jetzt einen kleinen schiefen versteinerten Seeigel im Haus und damit etwas, das noch einige Millionen Jahre älter ist als das Buch von 15irgendwas, das bisher bei mir für die Ewigkeit einstand.
In Häusern gewesen also bin ich mal wieder, neu bezogenen Häusern, mit noch langer eigener Geschichte, die letzten beiden so billig, das sie jeweils mit Arbeitslosenhilfe finanziert werden könnten, und die neuen Besitzer erzählen jeweils anekdotenreiche Wege zu genau diesen Häusern, in denen viele Einzelteile der Biographien plötzlich passen, sichtbar werden, verbunden sind, die losen Enden wie von selbst zur Ruhe gebracht.
ps: Habe die Kinder extra vor einen Film gesetzt (schickiwan=chicken run), um das hier endlich mal schreiben zu können, aber die ganzen Fotos wollen nicht so, wie ich das will. Ich lern das irgendwann auch nochmal.
 
- Mittwoch, 6. Juli 2005, 15:59
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Der Große beim Einschlafen: Ich werde ganz groß, ich wachse bis zum Weltall und bis zu die schwarzen Löcher und da werde ich verschluckt. Ich: Oh. Er: Ja, zum Glück wohnen wir nicht so nah dran.
 
- Mittwoch, 22. Juni 2005, 21:32
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heute den letzten Tag extremes Multitasking absolviert, mit drei Kleinkindern verreisen planen. Weil wir bei Freunden wohnen werden, und weil die Freunde zwar mich, nicht aber die entropische Energie meiner Söhne kennen, hab ich sicherheitshalber ein Zelt mitgenommen und durfte meiner großen und teuren Schwäche für Outdoor-Acessoires nachgeben. Globetrotter, ein Mekka für Pipifax, en großer, leerer Laden mit einem eingebauten Schwimmbecken, in dem man Boote testen darf. Dort einen Kommilitonen getroffen, wenn der früher an Frauen vorbeilief, ging ein leises Seufzen durch die Damen, weil dunkelhaarige sehr gut gebaute Athleten bei den Geisteswissenschaften eine rare Spezies sind. Dieser Typ schob einen leeren Gitterwagen durch das Geschäft, ich sprach ihn an, und er fühlte sich zu einer traurigen Ausrede genötigt: Ich habe zwei Jobs, hier bin ich im Lager, und außerdem bin ich Rektor! Ach, so schmelzen die Erinnerungen dahin.
Abgesehen davon ist es erstaunlich, wieviel in einen Van passt.
In den nächsten zwei Wochen passiert hier nüscht, wenn ich bei meinen Freunden kein Internetz finde, aber kommen Sie wieder, das würde mich freuen.
 
- Mittwoch, 22. Juni 2005, 18:55
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Heute auf einer Terasse gegessen, kurz vor der Kuppe des Prenzlauer Berges, mit Breitseite auf all die traurig wenigen markanten Berliner Dächer von Alexturm-Nikolaikirche-Dom-Forumhotel-Sophienkirche-Synagoge. Vor der Sophienkirche stand ein hoher dichter Baum und über dem Baum war die Wetterscheide: links schönstes tiefes klares Ultramarin, rechts schwarzgraues, dreidimensionales, kein Himmmel, sondern ein Gewitter. Wir standen nebeneinander mit unseren Weißweingläsern, unsere Stimmen sehr markant und klar, eine Totenstille, ein Vogelschwarm bewegte sich sehr schnell über den Horizont und machte dabei exakt denselben scharfkantigen Eindruck wie der Fischschwarm in Findet Nemo und verschwand dann wieder zwischen den Häusern. Wir reden und trinken und gucken nur deswegen immer wieder zum Gewitter, weil es so lautlos stattfindet. Kein Donner, kein Grollen, nichts, nur die Blitze auf ganzer Horizontbreite, dicke Blitze, die zögernd aus den Wolken kommen, einmal zucken, den Boden erreichen und verschwinden, wie Flamingobeine, die dann lieber wieder hochgezogen werden. Ich kenne das leise knirschende Sirren, mit dem ein wirklicher Bergdonner anfängt, bevor er über einen hinwegzieht wie eine himmlische sehr große Bowlingkugel, und heute war sogar der aufkommende Wind vollkommen diskret, bog dabei aber die Bäume in einen sauberen 45°-Winkel. Die Blitze schlugen dann horizontal über den Himmel, mit vielen Verzweigungen und so groß wie Charlottenburg, das war der Moment, als alle fotografieren wollten und keiner eine schnelle Digitalknipse hatte. Und natürlich werde ich es nur deshalb nicht vergessen, das Gewitter, weil ich es mir notieren musste.
 
- Mittwoch, 22. Juni 2005, 00:53
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Oh ihr großartigen Herren der Schöpfung, die ihr längst nicht mehr mit den Frauen zusammen lebt, die eure Kinder zur Welt gebracht haben, darf ich euch einen Moment lang beschimpfen?
Wer hat sich um die Kinder gekümmert, wo leben sie, wer wäscht die Wäsche, bezieht die Betten, wer liefert die Struktur und das System, in dem eure Kinder glücklich werden können, hmm? Wer kümmert sich um die kaputten Hosen, wer kauft Medikamente, wer kauft die Bücher, Kassetten und Badehosen, wer kocht jeden Wochentag gesunde Gemüse-Fleisch-Sossen-Sachen, ja sicher habt ihr das alles geklärt bei der Trennung und es gab OBJEKTIVE Gründe für das, was ihr immer noch Arbeitsteilung nennt, es gibt immer Gründe dafür, das die Kinder zur Mutter gehören, gute, unumstößliche Gründe, und es ist doch auch DEINE Meinung, das es ihnen bei Dir besser geht, und hei, ich habe eine 40Stunden- Woche, ich habe beschissene Verantwortung, aber nein, bei den Kindern habe ich Dich, und ganz erstaunlicherweise bist DU, Mann, Dir sicher, in einer 60/40Prozent-Lösung zu leben, und es ist einfach immer sehr viel zu tun an dem Tag, an dem Du eigentlich mit den Kleinen dran bist, Du hast halt einen Job, und wer rechnet schon in Stunden, außer Deinem Arbeitgeber, gell, und ganz privat sonnst Du Dich in Deiner geschmeidigen Geschwätzigkeit, die unumstößlich immer wieder dahin führt, das nichts sich ändern muss, und in 10, 15 Jahren wirst Du von Deinen Kindern erzählen, und es wird Stolz und Verantwortung in Deinen Worten liegen, und jeder wird Dich für einen großartigen Vater halten, und Du wirst Dich nicht einmal darüber wundern, wie gut Du mit alldem durchgekommen bist.
 
- Montag, 20. Juni 2005, 14:15
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Heute die Postbotin zum Weinen gebracht mit der Bemerkung: Ja Sie arbeiten ja immer! Sie bleibt stehen und sagt unter Tränen: Sogar Samstags sind es jetzt fast 200 Sendungen, ich bin allein, ich komm abends nach hause und bin KO, aber dann kommt ja noch die Famile, meine Kinder kommen zu kurz, es wird sich auch nicht ändern, das bleibt so, das wird immmer schlimmer. Ich erzähle, das viele meiner Freunde früher Post ausgetragen haben am Wochenende, sie sagt: ja, früher, da war alles anders.
 
- Samstag, 18. Juni 2005, 14:25
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In der Küche, heute wg Himmelsgräue schon düster, etwas unaufgeräumt, still, unausgepackte Tüten mit Beerenpracht auf den Ablagen. Meine Mutter setzt sich an den Küchentisch, wir haben 15 Minuten bis zum Sandmännchen. Wir trinken das Vera-Wasser aus den hellgrünen Plastikflaschen, die Zwillinge haben überall Kirschen hingetan, wir sammeln sie auf und stecken sie in den Mund. Sie sagt, das sie immer traurig sei an diesen Junitagen, weil ihr Mann und mein Vater vor zwei Jahren am 22. Juni gestorben ist und dann erzählt sie mir wie letztes Jahr auch diese letzten Stunden in einem Krankenhaus in Chiavari, Italien, nicht stockend, aber etwas atemlos, es klingt noch, als wäre es gestern passiert. Sie sagt: Ich hätte nicht so lange wegbleiben dürfen über Mittag, aber ich habe nicht mit dem Tod gerechnet an diesem Tag, ich bin mit dem Bus in die Stadt gefahren zum Mittagessen, dann bin ich zurückgekommen und hab gesehen, das er abgebaut hat, er hatte sich verändert, etwas war geschehen, und der Arzt hat gesagt: es passiert jetzt, er geht (se ne va). Sie erzählt, das sie ihn im Arm gehalten und seine Augen geschlossen hat, als er starb, und wie froh sie jetzt darüber ist. Wir gucken beide mit feuchten Augen ganz still auf die Tischplatte, aber ist noch kein rituelles Gedenken, es ist noch die Fassungslosigkeit vor dem Tod dabei, die Erinnerung noch voller Details und nicht durchkommentiert und von Verknüpfungen entstellt. Na ja, sagen wir beide, und dann erzählt sie, wie sie es sich in den frühen sechzigern auf ewig mit ihrem Schwiegervater verdorben hat, als sie beim ersten Besuch in roten Hotpants aufgetaucht ist.
 
- Freitag, 17. Juni 2005, 21:46
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Was für ein no-day. Den dicken Batzen Arbeit habe ich heut früh eine Weile beobachtet, er wurde erst immer abstrakter, wie ein zu oft gesagtes Wort, schließlich völlig fremd und jetzt hab ich schon vergessen, wie er heißt und wie alt er ist und woher wir uns kennen. Als das erledigt war hab ich das merkwürdige Lila der Clematis vorm Fenster auf der einen mit dem merkwürdigen Rosa der Clematis auf der anderen Seite verglichen, dann hätte ich fast Blümchenblusen bei Landsend gekauft, dann fast Taschenlampen in einem online-Zeltladen. Insgesamt zu viele Minuten lang sehr intensiv fast gekauft. Tag, um Freunde aus Pipifaxgründen mehrfach anzurufen, dabei völlig seriös und strukturiert rüberkommen um unwichtige Details neu zu dimensionieren, 3D-dimensionieren. In einen Halbtag passt viel mehr Nichtstun als Arbeit, das ist verhext.
 
- Freitag, 17. Juni 2005, 15:32
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Grade auf ntv Nachrichten geguckt, dabei einen Bericht über eine beendete Geiselnahme in Kambodscha gesehen. Erschrocken zugeguckt, natürlich erschrocken, die Geiseln waren Kleinkinder. Aber dann schickt mir dieser sensationsgeile Ex-Nachrichtensender eine bestimmt 6 Sekunden lange Bildsequenz ins Haus, in der ich einem Vater dabei zusehen muss, wie er sein grade erschossenen dreijährigen Sohn auf den Armen trägt. Er senkt den Kopf auf den Bauch seines Kindes, ich denke er ist groß, der Sohn, er wäre bestimmt bald vier geworden. Ihm wurde die Kopfdecke zerschossen und man sieht das. Was sind das für abgehalfterte Idioten, die so etwas senden? Wo ist der Informationsgehalt? Warum schickt mir ntv etwas ins Hirn, was da für alle Ewigkeit hängenbleiben wird? Der Sprecher sagt in den vielleicht 30 Sekunden vollkommen wiedersprüchliches, Kind bei Befreiung erschossen, Kind davor schon tot, egal, Hauptsache die Bilder sind richtiger Pfeffer. Ach ja, außerdem noch Kamera auf nackte, jung aussehende Geiselnehmer, die von Umstehenden überall hin getreten werden. Ntv sofort gelöscht, die sind ja gemeingefährlich.
 
- Donnerstag, 16. Juni 2005, 20:28
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Sehr schöne visuelle Vorfreude, Landschaften vorstellen, begründet, weil ich nächste Woche dahin fahren werde, nach Schweden, auf eine Midsommernachtsparty, und es ist ein leeres Bild, es gibt keine Postkarten aus Schweden, nur Literatur von Pippi bis Wahlöö und Wallander. Das Licht ist bestimmt dünner, so wie es im Süden dichter ist, weniger Lux pro qm und die besser verteilt auf die Tagesstunden. Freuen auf die Sekunde, wo das abstrakte unbekannte Land verschwindet hinter dem kleinen Ausschnitt, den ich vom Lenkrad sehen kann, also Verkehrsschilder, Strassen, Dörfer, Wälder. Schön, ein Land zuerst vom Schiff aus zu sehen.
Merke, das ich von anderen europäischen Ländern immer mindestens zwei polare Illustrationen im Kopf habe, Italien also Landschaft Umbrien/Lazio und Menschen auf Domplätzen, Frankreich Bretagne und die Strassen in südfranzösichen Städten, Spanien Touriküsten und milchiges Atlantiklicht.
Von Österreich immer nur den Eindruck, das es im Weg ist, wenn ich so durchs Dreiländereck nach Norditalien brause und noch bezahlen muss für paar Autobahnkilometer.
 
- Mittwoch, 15. Juni 2005, 09:43
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Stephen King ist unverfilmbar, vielleicht mal abgesehen von Kubrick. Taken ist eine blöde Alien-Schmonzette, alles was King überhaupt lesbar macht, der virtuose Umgang mit Alltagssituationen, die visuelle und atmosphärische Dichte seiner Texte, nie durch Stil, immer nur durch den zielsicheren Schuss auf das, was auch in der diffusen sentimentalen Erinnerung noch klare, einfache Formen behält, auf das von jedem Trottel wiedererkennbare, die riesige Menge an nebensächlichen Details, die den fetten Mainstreamteppich bilden, die weite Welt der kleinen Gefühle, die wie von selbst zu den großen führen, puff, alles weg im TV. Es bleiben die unglaublich dämlichen Handlungsabstracts, dieser ganze krudeste Krempelmüll, also überhaupt nichts.
 
- Montag, 13. Juni 2005, 23:33
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Es war hell, blau, Vögelchen sangen. Ich wache auf, weil meine Kinder um mich herum auf meinem Bett sitzen und sehr engagiert in ein Gespäch vertieft sind. Der Älteste, der heute für ein Woche zur Kita-Abschlussfahrt fährt, ist grad mitten in einer Aufzählung: den Playmo-Ritter, und dann muss ich noch die Hausschuhe einpacken, und dann- ah, Mama, Du bist ja endlich aufgewacht, schnell, wir sind zu spät, machst Du Frühstück? Klar, mach ich. Nach Cornflakes, Toastbroten, Milchkaffee, Vesperbroten, Zähneputzen, kämmen, anziehen schau ich auf die Uhr. 5:30.
 
- Montag, 13. Juni 2005, 12:21
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Das Verhältnis zwischen größer werdenden Kleidungsstücken und geringerer Waschhäufigkeit bleibt proportional: immer im Schnitt einen proppevollen Wäscheständer in der Wohnung.
 
- Freitag, 10. Juni 2005, 11:34
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Heimwehattacken, was ist das denn, lange her ist das, sogar die Sprache holpert inzwischen und die Bilder im Kopf werden immer kleiner und in der Verkleinerung immer schärfer: dieses Licht im Dezember die Via Broletto hinein, die klare braungraue Kackfarbe des Waldes im Winter am See, die selbstgeschossenen Enten, die mein Vater von Geschäftsfreunden zu Weihnachten bekam und die tagelang auf dem Balkon hin und her schaukelten bis wir sie in einem Federsturm entlaubten, ich weiß noch wie lang das entfedern immer dauerte, aber ich erinnere mich nicht daran, je eins der Viecher gegessen zu haben.
Das lange her das die Bilder separiert von den Zusammenhängen, in denen sie damals nicht auffielen, und sie neu absetzt, unter der neuen Überschrift bella italia, und das ärgert mich, weil sie in der Verallgemeinerung immer noch stimmen, obwohl ich draus verschwunden bin. Andererseits, wäre ich nach Finnland gegangen, oder in die Usa, die nahe Schweiz, wer weiß was ich dann erinnern würde.
Die Latteria gegenüber, Via Unione glaub ich, ein schmales langes Geschäft, vollgestopft mit den in Italien selbstverständlichen Schweinereien, geführt von einem alten Mann und seinen beiden Söhnen. Sie waren sehr hoch, diese Männer, mit großen knotigen Händen und riesigen Adamsäpfeln über ihren weißen Schürzen, erst nach Jahren habe ich bemerkt, dass sie hinter ihrer Theke auf einem Podest standen. Sie hatten lange Metallstangen mit einem Griff am Ende, damit fassten sie wie mit ihren eigenen Fingern in die hohen Regale und griffen blitzschnell und ohne hinzugucken die richtigen Gläschen mit pasta di olive oder acciughe sott'olio herunter, voilà landeten die mit Schwung auf dem Tisch, während dir der Mann schon wieder verschwörerisch in die Augen guckte: nur zwei Liter Milch? Sicura?
Später haben sie Tische reingestellt, vorne in den Ladenschlauch und in den Lagerraum dahinter und einen vegetarischen Mittagstisch eingerichtet. Der Alte setzte sich immer zu den hier speisenden Models (spinaci con limone, acqua naturale, und er: ma come, senza la grana? Ma il formaggio vi da le ossa, ragazze, su dai) an den Tisch und überschüttete sie mit schnellem Wortwitz, den sie nicht verstanden, während seine Söhne uns erklärten, warum der Alte das tun müßte, wartet nur bis ihr größer seid, eeeeh già. Wir haben da gegessen, wenn wir keinen Schlüssel mithatten, unsere Mutter ist einmal im Monat hin und hat die Rechnung bezahlt.
 
- Mittwoch, 8. Juni 2005, 22:48
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Nachdenken über Entscheidungen. In Erzählungen von Freunden gibt es immer Gründe, aber wen man weiterfragt bis in die Verästelungen hinein kommt man an diesen Punkt, an dem die Treppe und das Geländer aufhören und der Sprung notwendig wird, und dieser magische Moment ist immer frei von den Gründen, ein kleiner sexy Akt der Anarchie gegen die Behäbigkeit des Lebenslaufs. Die Entscheidung verdankt sich immer nur diesen Kraftlinien, die so durch das Leben laufen, der Persönlichkeit vielleicht, die Argumentationen hören kurz davor ganz auf, man steht allein in großer Stille auf dem Trampolin und springt oder eben nicht.
 
- Sonntag, 5. Juni 2005, 19:35
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Rahmenkunde. Die Kunst, einen Rahmen zu schaffen, der die Menschen unter einem Gesichtspunkt nur zusammenbringt, und wie schnell man dann außer der Gemeinsamkeit nichts mehr wahrnimmt, der innere Ruck, der eigenen Neugier aus den Bahnen heraus zu folgen und weiterzufragen.
Heute vielleicht hundert Leute aus meiner kleinen Strasse kennengelernt, einer Strasse die als eine von nur zwei oder drei in Berlin um ein kleines Platzei herumführt und eine wunderbare Separiertheit im System erzeugt. Ein Informatiker von gegenüber wird ein Netzwerk für den Platz aufbauen, sein Nachbar ist ein Mac-System-Doktor, für Notfälle nah genug, ein sehr guter kleiner Verlag ist aus München ausgerechnet in diese Strasse gezogen und hat hier ein offenes Büro, und es gibt sogar einen Bassisten, der leider viel zu jung ist. Die Leute mit Kindern kannte ich sowieso, weil immer alle auf dem kleinen Spielplatz in der Mitte des Eis zusammen sind, mit den anderen Gewerbetreibenden gibt es schon eine über das hallo hinausgehende Kommunikation. Außerdem ist da noch Frau Jacobs, die hier seit vor dem Krieg lebt und ein engagiertes und waches Mundwerk hat und sich daran erinnert, als die russische Kommandatur in der Strasse wohnte und sie an beiden Enden abgesperrt hat, auf unserem Dachboden gab es ein Sperrholzkämmerchen mit Abhör-Hardware aus der Nachkriegszeit und den ersten DDR-Jahren. Man muss nur fragen und ist ein klitzekleiner Teil des großen Ganzen, nicht mehr und nicht weniger, gerade genug. Neben diesen Alten leben die jüngeren, und es scheint bei aller Grundverschiedenheit in Biografien und Bildungs-oder Berufshintergründen eine gewisse entspannte Gesprächsbereitschaft zu geben, und die Mischung aus ärmer und reicher ist noch vorhanden, anders als im nahen Helmholtzplatz-Umfeld und seinen edelsanierten Häusern. Hier kann man bleiben.
Bedarf nach Heimat offensichtlich, und hier kostet sie nichts, keinen Verzicht, keine Sehnsucht. Unter anderem wird einem diese leichtfüßige Verortbarkeit von Zuhause-Dingen einfach so geschenkt, und Menschen wie der Herr Porcamadonna mit seinem skurrilen Berlinhass sind mir nur noch ein Rätsel, ein langweiliges noch dazu.
P.S. Wie kann ich das Bild zentrieren oder nach rechts setzen?
 
- Samstag, 4. Juni 2005, 20:46
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(wenn Herr Praschl so lange nichts schreibt, habe ich einen kleinen Phantomschmerz, der auf meinem Rücken liegt wie ein Lindenblättchen)
 
- Donnerstag, 2. Juni 2005, 13:15
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Fantasy ist genauso merkwürdig wie Astrologie. Wenn sie gut ist (ich kenne nur 2, 3 gute Autoren, aber es gibt bestimmt einige) wird der F-Aspekt beim Lesen vergessen, weil er Teil des Gesamtkonzepts ist, und nicht das Skelett, an dem die restlichen Komponenten nur so festgetackert sind. Auch die Astrologie ist so für sich genommen faszinierend als vollkommen autarkes, geschlossenes Gebilde, das mit den eigenen komplizierten Kriterien Wahrheiten schafft, die innerhalb des Systems funktionieren und ausserhalb völlig irrelevant sind. Äh. Denke über den Unterschied zwischen Fantasy und Science Fiction nach und weiß nicht, ob sich nur die Systeme unterscheiden, auf die sie zurückgreifen- Fantasy auf übersinnliches, Scifi auf naturwissenschaftlich ableitbare, ob sie nicht einfach mit ihren Ansätzen immer nur die Veränderbarkeit von Bedingungen für sich durchspielen, die in real life nicht veränderbar sind. Tolkien, Adams, Lem, Williams (der allerdings ungeheuer geschwätzig ist), vielleicht noch Gaimann mit den Sandman-Comix (der hat auch ein feines Kinderbuch geschrieben,
The Wolves in the Walls, aber für Kinderbücher gildet die Trennung ja nicht) Bei dieser Gattung müssen Handlung und Figuren gut verwoben sein, der irreale Aspekt tendiert schnell zu eskapistischer Eigendynamik, dann fällt alles auseinander.
 
- Donnerstag, 2. Juni 2005, 12:32
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Gerade zum ersten Mal den Gesichtsausdruck selber gehabt, der mich bei meinem Vater immer so unangenehm berührt hat. Merke was vererbt wird und was nicht.
 
- Mittwoch, 1. Juni 2005, 23:00
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