Beim Lesen dieses sehr beeindruckenden
Artikels hab ich mir (als Mutter von gesunden Kindern) immer gedacht: Warum darf sich die Autorin kein Urteil erlauben über die Entscheidung dieser Freundin (die ein behindertes Kind abgetrieben hat)? Ich kenne das aus einem Fall im Freundeskreis, doppelte Lippen-Kiefer-Gaumenspalte und noch irgendwas, 20. Woche, wie alle immer sagten:
Ich will sie überhaupt nicht beeinflussen, es ist ihre Entscheidung. Zu persönlich, sagt man, weil durch ein behindertes Kind die gesamte Lebensplanung verändert wird, und weil eine pro-Kind-Argumentation in solchen Fällen nur mit „weichen“ Gründen, also in diesem Zusammenhang: abstrakten Gründen arbeiten kann. Lebenswerte. Gerade in einer Zeit, wo Kinder nicht mehr selbstverständlich kommen, sondern immer aus
Gründen, die verschieden sein können, aber eben immer auch etwas außerhalb des Kindes betrefffen, wo die Kinder also quasi schon vorgeburtlich eine Aufgabe haben in den Leben ihrer Eltern: Sinn zB., da ist es schwierig, mit Werten daherkommen, die das Lebensrecht und die Lebensfreude eines Kindes zum Inhalt haben müssen, und was wissen wir denn von der Lebensqualität dieser anderen Kinder– und schon da wird der Boden sehr schlüpfrig, weil diese Lebenssinn-Debatte mit elementaren, ethischen Geschichten ins Gehege kommt, und weil auf jeden Fall das Kind plötzlich Bestandteil der Entscheidung wird. Das Kind will da ja keiner haben, nicht einmal in der Auseinandersetzung vorher, auch keiner der Ärzte, soweit ich mich erinnere (ich hatte 2 Hochrisikoschwangerschaften mit jeweils fast der vollen Hightech-Diagnosen-Breitseite). Ärzte und Politik klammern das eigentlich zuständige Handwerkszeug aus, sie müssen das tun, weil sie dann sofort in die Mühlen der moralischen Auseinandersetzung geraten würden, von allerlei katholischen oder anderswie lebensfernen Kreisen mit Beschlag belegt.
(Besonders makaber ist die bei moni beschriebene hanebüchene juristische Hilflosigkeit, ein Leben erst nach der Geburt beginnen zu lassen, in Italien gab es ja einen Volksentscheid zur Frage nach Embryonenforschung, in deren Umfeld diese Beginnfrage immer wieder gestellt worden ist- die schlüssigste Antwort kam von einem Logiker, irgendeinem Philosophen: Am sichersten beginnt Leben in dem Moment, vor dem keines war. Der Zeugung. Alle anderen Standpunkte lehnte er als von Interessefragen kontaminiert ab)
Aber es geht ja um eine Entscheidung über Leben und Tod, und da muss man unbedingt Partei ergreifen, glaube ich, und wenn nur als Stimmchen des Kindes, das noch nicht reden kann. Und das müssen Leute machen, die wissen wovon sie reden, und gar nicht unbedingt nur vom allgemeinen Lebensrecht-Standpunkt, sondern aus der konkreten Beziehung zwischen Eltern und (behindertem) Kind heraus. Moni tut das dann auch, das Parteiergreifen, in jedem freien zwischen-den-Zeilen-Raum, das macht den Text so toll. Ich hab mich bei meiner Freundin damals nur zu einem ganz leisen Ratschlag fürs Kind durchringen könnnen, und hab mich schon damit übergriffig gefühlt damals. Sie hat das Kind bekommen, es hat die ersten OPs überstanden, und wie immer bei Kindern ist es der Mutter unvorstellbar, sie nicht bekommen zu haben.