Dresden

Ein Te Deum, das kann man immer brauchen, und so buchte meine Frau Mama schon im März einen Platz für die Uraufführung des Matthus-Stückes. In der Frauenkirche! Der frisch geweihten! und ein Zimmer im danebenstehenden Hilton. Also ein Ausflug in mehrere, in Dresden dicht nebeneinander liegende Paralleluniversen: mein lang vergangenes kleines und nicht wirklich interessantes der Premieren und Uraufführungen, sehr alt, sehr vorbei, das viel größere, viel offensichtlichere, deutlich vollere des großen Geldes. Habe gelernt, das man Reichtum nicht vortäuschen kann, weil das Bemühen, so ausszusehen, sich beim Laien über viele viele Entscheidungen verwirklichen muss: welche Schuhe, welche Tasche, Schmuck, Haare, alles, und dann steht so ein wirklich reiche Dame morgens neben dir im Fahrstuhl, und alles an ihr ist anders, das Make-up z.B. hast du total vergessen, kein fond de teint, kein Parfum, keine glänzenden spitzhackigen Lederpumps mit Schnällchen, kein Haarspray, vor allem kein hellgelbes Blazerchen mit kleinen schwarzen Knöpfen. Nichts davon erfordert Einfälle egal welcher Art, das geamte Outfit kommt aus einer einzigen großen Schublade: Teuer. Und ohne das alles bekommt man die Selbstverständlichkeit im Blick nicht hin, das ruhige bis leicht arrogante mein Leben ist immer so, und nur hier in diesem dummen volksnahen 4-Sterne-Kasten darfst du dir das auch mal angucken. Ein im Kern ahnungsloser Blick, erstaunlich vor allem in seiner Bedürfnislosigkeit, also weil er nichts sehen will, nur was aussagen. Ein Blick, der nur als Antwort auf einen anderen Blick machbar ist, meinen.

Andrerseits auch typisch, das man denkt, dieses andere Leben erschöpfe sich in seinem Anderssein, nur weil man vom Rest ja nix weiß. (Und die Fahrstuhlgespräche! Ich zu Mama: und jetzt hab ich wieder kg-weise Bücher gekauft, ich hätte die Titel einfach aufschreiben können. Die Dame neben uns: Ja das kenne ich! Ich kann bei Adventsgestecken überhaupt nicht nein sagen, obwohl es die zu Hause auch überall gibt! Different kingdoms, mit denen man so prahlt.)

Vorm Konzert, beim Empfang, der Vorstand der Dresdner Bank als Tüte Mücken, aber voller Glück über das Richtige, über das Engagement der Stiftungsmitglieder, über das Geld (7 Millionen von der DB, davon 1 von den Mitarbeitern), der Komponist stand unerwähnt und erwartungsvoll direkt daneben, sein Name dem Vorstandstyp sichtlich entfallen, der hatte nicht einmal den Titel des Stückes parat. Schwerpunkte sind eben eine Kunst für sich. Aber alle in Robe. Herr Güttler natürlich auch dabei, umtriebig und freundlich den Stiftungsvorstand lobend, aber der arme Herr Matthus, der tat mir leid, er hatte nur ein halbes Jahr für die Komposition, eigentlich zur Weihe, weiß der Keks, was oder wer da wieder dazwischen kam. Ein Geld–, kein Kulturempfang. Glattes Parkett. Geld follows den Wichtigen, vielleicht gucken die dann nur noch nach vorne. (Am nächsten Tag im Grünen Gewölbe einen grünen Diamanten gesehen, dessen Anschaffungspreis von 450.000 Talern den historischen Baupreis der Frauenkirche um 150.000 übertrifft.)

Das te deum war auch schön, aber das sollte es auch sein, und man kam sich ein bisschen wie so eine Herzmarionette vor: Leiden! Schönheit! Wiederaufbau! Die Chöre natürlich vor allem, sehr dicht und synästhetisch in der Beschreibung von Schmerz, ein Jammern, das besungen wird, nicht gesungen, aber knapp davor, wenn sie wissen was ich meine. Zwischendrin absolut großartig, doch, der kann schon was, der Matthus. Und die Kirche macht einen wunderbaren Klangkörper. Zum Ende hin ein kleiner feiner Kinderchor, der Komponist erzählt uns nachher, dass der fast komplett im Aufzug stecken geblieben sei, bis auf einige wenige Treppenläufer, die den Abend allein bestreiten mussten.

Und Dresden diesmal ohne jeden Alltagskontakt, keine Freunde besucht, nur der große Barockzirkus, ein geschlossener Kreislauf. Schätze, unglaubliche Schätze, drumherum Brache und Baustelle und alles 60% wegen Geschäftsaufgabe. Der Gegensatz macht aus den Baudenkmälern ein Disneyland. Aber Menschenmassen, Hotel völlig ausgebucht an den Wochenenden.

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