Samstag, 28. Januar 2006

"Ich finde mich kraft Zusammenzuckens zurecht."

(Botho Strauß)

...meine Mutter hatte die Karten gekauft, mal wieder Theater, und den Strauß hat sie doch immer unbedingt sehen wollen, da lad ich sie mal ein! Und so bin ich ein weiteres Mal gleichzeitig ahnungslos und schuldig wg. nicht wahrgenommmener Kartenlektüre in einem Titus Andronicus gelandet, den ich nicht ausstehen kann. Nie konnte. Ein Männerstück, ein äußerst reduziertes Stück, verzweifelt unelegant, aufs Blut reduziert, dazu im Hintergrund philosophische Ränkeschmiederei, nie stringent, immer nur das eine aus dem anderen ableitend, nie genügend dicht, um mit der Gewalt mithalten zu können. Wenn ich mich richtig erinnere, sind in den letzten beiden versehentlichen Andronicussen auch immer schon diese beiden, Wort und Körper, mal so richtig aufeinander losgelassen worden, dabei wäre es schlimm genug, das Stück einfach nur zu lesen. Es ist ein Lesestück. Ich glaube nicht, das es zur Gewalt von heute passt, weil die Unschuld und Klarheit der Ovidschen und Shakespeareschen Vorlage verloren und vergessen sind. Ein juveniles Racheblutspektakel wird also mal wieder über den neuen Grenzverlauf der Menschlichkeit befragt. Wer soll denn noch alles gefragt werden.

Heute abend in einer Fassung von Botho Strauß, Regie Langhoff, alles supi. Und dann sind die Schauspieler auf der Bühne alle papierig und eher im reden über als im reden-Modus die ganze Zeit, lauter schicke Nichtse in Lederkostümen, Jürgen Holtz macht den King im langen Mantel, der Larry, allesamt wie im falschen Heimatfilm. Nur brüllen tun sie alle sehr gut, immer, brüllen, bluten oder kleinlaut irgendwas bramarbasieren. Die Gewaltszenen schön glaubwürdig, macht das mal schön glaubwürdig, weil da weniger gesprochen wird, das können die besser, und dann gleich in Endlosschleife, weil einmal reicht uns blödem Publikum ja nicht, wir wollen Armstümpfe und Blutmünder und offene blutende Hinterteile am liebsten stundenlang, sonst können wir das wieder gar nicht glauben alles. Die Täter auf der Bühne sind in nada de nada mit ihrem Tun verbunden, gut, da mag System dahintersein, aber es riecht nur nach Unfähigkeit. (Schändung heißt das Stück, nach dem einzigen lebend bleibenden Opfer). Und sogar ein Kind hatten sie auf der Bühne! Mit einem Laserschwert! Nichts war ihnen zu doof, und was immer sie vorhatten, es ging verloren in Gewalt und mangelhaftem Spiel.

Und jetzt saß ich Glückliche in meinem staubigen Theaterstühlchen zufällig sogar neben einem schönen Menschen, der roch gut und man konnte im Dunkeln ein bisschen gemeinsam schnauben über das Stück, aber deswegen gleich bis zum Ende bleiben? Nä. Also mit Muttern nach nebenan, Jakobsmuscheln essen und Schamups (-mpus) trinken, das fühlt sich dann gleich dekadent an nach soviel herumgerutsche am Abgrund. Auch gut.

Ach, dazu noch: im Programmheft eine Fotoreihe mit Herrn Strauss vom Faun- ins alte Männeralter, erst schön, dann weniger schön, keine Gewalt will man da noch rufen, aber es war zu spät.

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gingerbox (Gast) - 1. Februar, 00:46

gern ...

... erzähle ich bei dieser gelegenheit meinen lieblingstratsch über botho strauss, der, wenn ich mich recht erinnere, in die uckermark sich zurückzog, um sich von der zivilisation' zumutungen zu erholen, und dort mit seiner, vermutlich,: gattin ein kind in die welt setzte, dem er den namen diurno gab, denn das kind ward, siehst dus nicht, in der morgenstunde gezeugt. nachdem ich diese intime information über herrn straußens morgenlatte erhalten hatte, habe ich mich in der sekunde von der lektüre seiner literatur beurlaubt. - das ist, anders als offenbar die bilder, nicht nur anfangs, sondern immer schön :-)

Casino (Gast) - 1. Februar, 20:10

Da kriegen sie sogar Kinder und merken immer noch nicht, das es noch andere Empfindlichkeiten gibt außer ihren eigenen. Diurno heißt ja vor allem sonst nichts, und Herr Strauss sieht sich bestimmt als bescheiden, wenn man ihn so befragen täte. Schöne Geschichte, danke.

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