geboren am 19.12.1909
an einem tag, der an allen ecken und minuten auseinanderbröckelt, noch einen brief geöffnet, vom amtsgericht neustadt. ich wurde enterbt. meine großmutter ist wohl schon vor einem jahr gestorben, sie wohnte bei ihrem sohn aus 2. ehe, und sie war dort nicht mehr zu erreichen für uns, wir haben das akzeptiert und den AB besprochen, jeder mit dem seinen beschäftigt.
sie hat uns nur selten besucht, aber mein vater fuhr durch die ganzen siebziger und achtziger oft mit uns hin, in die berge, er war ein treuer sohn, oder einfach nur von pflicht beseelt, sie war eine selbstbewußte schöne und starke frau, eine sentimentale alte nazidame, das wissen meine schwester und ich heute, an den wänden ihrer wohnungen, alle mit aussicht auf den luganer see, hingen immer diese schwarzweißbilder aus den 30ern, von unten fotografiert, die brüste in die welt und das kinn gereckt, graues kleid.
sie hat ihren ersten mann, einen autoritären und herzwunden bergwerksdirektor und ihren ersten sohn wegen einem eloquenten und erfolgshungrigen nazi verlassen, und der wiederum seine frau mit fünf kindern, und alle diese kinder klagen seit jahren um ein vermeintliches vermögen, von dem keiner weiß, ob es tatsächlich existiert oder ob es nur ein notwendiger mythos ist, der die vergangenheit noch lebendig und die familie zusammen hält, eine brücke in die zeit davor, nachprüfbar vorhanden ist nur noch ein vergilbter teil davon, alte bücher und ein paar schöne vasi-stiche, von der sonne gebleicht, denn das neue paar hat in rom gelebt und später in der schweiz, nach dem krieg, in einer abgeschlossenen welt voller geschäfte und alter freunde, das war geschichte damals für uns, unsichtbare freunde, oder ist das meine vorstellung? so dachten wir uns das damals, in einer kulturellen selbstsprechanlage, meine großmutter immer randvoll mit geschichten, die sie als jugendliche in worpswede bei den künstlern erlebt hat, ihre abenteuer, sie hat als eine der ersten frauen an der tu in berlin ingenieur studiert und danach in ihrem beruf gearbeitet, wir dachten als kinder, sie könnte vielleicht fliegen, sie hatte geist und charisma, bis sie dem falschen mann begegnete, sie war immer zweierlei, die dame der späten zwanziger, die mackensen geküßt hatte, und die frau mit dem merkwürdigen ehemann, der ein mussolinifoto mit signatur ganz oben im schatten auf dem schrank stehen hatte, das wir uns bei unsren besuchen immer heimlich anzugucken versuchten, in der zeit vor den diskussionen und vor dem bewußtsein.
eine fremde art, bei der wir fragen stellen konnten, weil der weltkrieg noch gar nicht vorbei war, also als wir teenager waren, oder verschönere ich da jetzt etwas, sassen wir vielleicht doch immer nur um die geschichte der großmutter herum und redeten über ihre bilder und die gedichte und den lieben gott, na, es war beides, aber diese giftige sentimentalität mit ihren vielen staubteilchen im sonnenlicht, das vollkommen weltabgewandte, das hab ich noch sofort abrufbar behalten. eine sehr deutsche biografie.
der sohn mit dem zweiten mann, mein halbonkel, wurde als lehrer ein opfer des radikalenerlasses, danach erfolglos, der ist auch nicht ganz kosher, er hat als ersatz für alles eine nicht zu bändigende geldgier entwickelt und hat die schon demente und nicht mehr allein lebensfähige frau zu sich geholt, und dort ist sie gestorben, nach nur anderthalb jahren, was wir alle nicht wussten, wir haben angerufen und karten geschickt und wollten vorbeikommen, aber der zweite sohn hat sie für sich behalten.
es war meine großmutter, und ich bin traurig, dass sie so sterben musste, was jetzt bleiben wird von ihr, nicht viel.
(20. jahrhundert, eine pest)
sie hat uns nur selten besucht, aber mein vater fuhr durch die ganzen siebziger und achtziger oft mit uns hin, in die berge, er war ein treuer sohn, oder einfach nur von pflicht beseelt, sie war eine selbstbewußte schöne und starke frau, eine sentimentale alte nazidame, das wissen meine schwester und ich heute, an den wänden ihrer wohnungen, alle mit aussicht auf den luganer see, hingen immer diese schwarzweißbilder aus den 30ern, von unten fotografiert, die brüste in die welt und das kinn gereckt, graues kleid.
sie hat ihren ersten mann, einen autoritären und herzwunden bergwerksdirektor und ihren ersten sohn wegen einem eloquenten und erfolgshungrigen nazi verlassen, und der wiederum seine frau mit fünf kindern, und alle diese kinder klagen seit jahren um ein vermeintliches vermögen, von dem keiner weiß, ob es tatsächlich existiert oder ob es nur ein notwendiger mythos ist, der die vergangenheit noch lebendig und die familie zusammen hält, eine brücke in die zeit davor, nachprüfbar vorhanden ist nur noch ein vergilbter teil davon, alte bücher und ein paar schöne vasi-stiche, von der sonne gebleicht, denn das neue paar hat in rom gelebt und später in der schweiz, nach dem krieg, in einer abgeschlossenen welt voller geschäfte und alter freunde, das war geschichte damals für uns, unsichtbare freunde, oder ist das meine vorstellung? so dachten wir uns das damals, in einer kulturellen selbstsprechanlage, meine großmutter immer randvoll mit geschichten, die sie als jugendliche in worpswede bei den künstlern erlebt hat, ihre abenteuer, sie hat als eine der ersten frauen an der tu in berlin ingenieur studiert und danach in ihrem beruf gearbeitet, wir dachten als kinder, sie könnte vielleicht fliegen, sie hatte geist und charisma, bis sie dem falschen mann begegnete, sie war immer zweierlei, die dame der späten zwanziger, die mackensen geküßt hatte, und die frau mit dem merkwürdigen ehemann, der ein mussolinifoto mit signatur ganz oben im schatten auf dem schrank stehen hatte, das wir uns bei unsren besuchen immer heimlich anzugucken versuchten, in der zeit vor den diskussionen und vor dem bewußtsein.
eine fremde art, bei der wir fragen stellen konnten, weil der weltkrieg noch gar nicht vorbei war, also als wir teenager waren, oder verschönere ich da jetzt etwas, sassen wir vielleicht doch immer nur um die geschichte der großmutter herum und redeten über ihre bilder und die gedichte und den lieben gott, na, es war beides, aber diese giftige sentimentalität mit ihren vielen staubteilchen im sonnenlicht, das vollkommen weltabgewandte, das hab ich noch sofort abrufbar behalten. eine sehr deutsche biografie.
der sohn mit dem zweiten mann, mein halbonkel, wurde als lehrer ein opfer des radikalenerlasses, danach erfolglos, der ist auch nicht ganz kosher, er hat als ersatz für alles eine nicht zu bändigende geldgier entwickelt und hat die schon demente und nicht mehr allein lebensfähige frau zu sich geholt, und dort ist sie gestorben, nach nur anderthalb jahren, was wir alle nicht wussten, wir haben angerufen und karten geschickt und wollten vorbeikommen, aber der zweite sohn hat sie für sich behalten.
es war meine großmutter, und ich bin traurig, dass sie so sterben musste, was jetzt bleiben wird von ihr, nicht viel.
(20. jahrhundert, eine pest)