Dinge

22:00, schlafend sein sollte ich. Umgeben von Dingen auf dem Schreibtisch, unterschiedlichster Färbung, aus den unterschiedlichsten Gründen hier abgelegt während dem Wochenende, in einem großen unterdessen. Das hübscheste davon eine kleine Funkenmaschine zum Aufziehen, in einem Schuh wiedergefunden, den ich sonst erst im Herbst wieder getragen hätte, einem Lackgummistiefel in einem Schrank, indem die Schultüte versteckt war. Eine Weltzeituhr aus Messing, vom Schreibtisch meines Vaters, so ein Ding an sich, das auch ohne Geschichten überleben kann. Blätter, Kassetten, Zeug.

Muss an einen ehemaligen Mitbewohner aus Neuköllner Zeiten denken, ein Sammler und Dingliebhaber, sein Zimmer ein Kontinent voller unverständlicher Schätze, die nur er in eine nicht abreißende Kette von Zusammenhängen und Bedeutungen einordnen konnte, ihm war Bedarf und Bedürfnis etwas unentwirrbares. Reiseplanung zerriß ihm das Herz, er arbeitete Wochen vorher an Listen, damit alles notwendige dabei war, das Leben ist so unsicher und voller Überraschungen, da sind Entscheidungen eine Wagnis und ihm ein Graus. Er hatte alles, eine Schwäche für bunte Uniformen, hat nach Mauerfall die Ostbibliotheken nach LPs abgegrast, die TAZzen und Zittys der letzten Jahrzehnte, englisches Zollwerkzeug, chinesische Fahhradbremsen, Steine, Ersatzteile für alles kaputtbare. Seinem umfänglichen Eigentum begegneten wir mit dem Besen, wenn es nämlich aus dem Zimmer heraus den Flur überschwemmte, aber ich habe seitdem ein größeres Verständnis für Menschen mit dieser Begabung fürs Wertschöpfen.

Nach dem Tod meines Vaters hatten wir nur ein paar Tage Zeit, um die Wohnung aufzulösen, und da waren sie, die ganzen Dinge, deren Geschichten wir nicht erinnerten, weil so Dinggeschichten immer nur nebenbei erzählt werden. Es waren keine Trophäen, die ja immer schon fertige Symbole sind, egal ob Mitbringsel oder Medaillen oder Fotos in merkwürdigen Rahmen, sondern Gegenstände, die für etwas einstehen, was nicht in ihnen verzeichnet ist. Man kann sie nicht unterscheiden, sie gehören zum Toten in dem Sinne, dass sie mit ihm verschwinden.

Wir haben ganz viel weggeworfen und den Rest unter uns aufgeteilt, wer meinen Vater kannte erzählt uns was dazu, dieser kleine bronzene Aschenbecher, den hab ich ihm geschenkt äh 1963 oder so – nein, den hat er von Giorgia, die hat ihn selbstgemacht, er war so verliebt in sie – nein, der kommt von Gabis Schwester, bevor sie den Rolling Stone geheiratet hat – es werden Dinge mit einem Geheimnis daraus, das klare und intime und womöglich Nebensächliche dieser Bedeutungen ist verschütt gegangen. Die goldene Taschenuhr, von einem Onkel, aber welchem? Die römischen Öllämpchen, aus seiner Fremdenführerzeit in Rom, oder Geschenke von Freunden, weil er so ein exquisiter Romkenner war? Ist das wichtig? Was verlieren wir von ihm, wenn das keiner mehr weiß, oder war das sowieso schon verloren?

Eine Biographie der Dinge, in Sinuskurven, durch ein paar Generationen.

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