Donnerstag, 4. Januar 2007

...

unter anderem vorgenommen, die ganzen geerbten erstausgaben von ernst jünger endlich, endlich mal zu verkaufen. andererseits bieten mir die bücher die bestimmt nicht wiederkehrende gelegenheit, jünger tatsächlich zu lesen, und gelesen sollte man ihn ja schon haben im jahre jetzt, und ich gäbe mit ihnen auch einen teil vatergeschichte aus der hand, alle bücher mit widmung, und tatsächlich gibt es auch eine erinnerung an das haus von ernst jünger, in dem wir aus irgendeinem anlass in den siebzigern mal zu gast waren, wir kinder an einem kleineren und niedrigeren katzentisch mit kleineren tellern, mir kam es damals so vor, als sei der katzentisch in seiner großen nische zwingend für diese art alter herren, das zweitischige war normal, schon die häuser wurden so gebaut, und es gab in meiner damaligen vorstellung immer kinder oder kleine menschen die da sassen, auch wenn die große tafel leer blieb, anderthalb meter entfernt vom riesigen erwachsenentisch, an dem das gespräch ruhig, fremd und sehr lang vor sich hin plätscherte, die stimmung festlich gedrückt, die wohnung groß, sonnig, voller käfer in glaskästchen. und ich meine mich sogar an so eine art besucherpfad durch einen wasser/steingarten zu erinnern, die herr jünger uns zeigte, aber muss nicht stimmen, ist zu lang her.

hey, erinnerungen, lustig. alles bilder, wenn man dann hinguckt, beinhalten sie zusammenhänge und bedeutungen auf eine art und weise, die sich durchs beschreiben entrollt, dass man gar nicht weiß, was jetzt zuerst da war. vereinfacht as language.

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und³ (Gast) - 4. Januar, 20:35

wollten sie das ernstl nicht auch mal schätzen lassen?

Casino - 4. Januar, 20:48

vorm verkauf werde ich das sicher irgendwie schätzen lassen, hier im regal ist sowas ja irrelevant. bei büchern ist ja immer so eine beziehungslosigkeit zwischen preis und wert, gerade bei so geerbtem, das entspricht sich nicht ganz.
alex63 - 4. Januar, 23:17

und wieso willst du sie ausgerechnet jetzt verkaufen? also ich würde das nicht machen, wenn es nicht absolut nötig ist. zum einen hat es so was herzloses erbstücke zu verscheuern, vor allem wenn es bücher sind und dann auch noch von ernst jünger. sind die widmungen von ihm selbst? denk an deine drei jungens. einer von denen wird bestimmt mal ein ernst jünger fan. du würdest da auch eine nabelschnur zu ihrem großvater kappen. außerdem solltest du sie wirklich vorher lesen, zumindest die autobiographischen sachen, also wenn da welche dabei sind. zu allerererst afrikanische spiele über ernst jüngers flucht von zuhause und seine zeit bei der fremdenlegion in algerien. das hätte ich gerne mit 16 gelesen. dann annäherungen über seine drogenerfahrungen. eines der besten drogenbücher überhaupt. bei jünger fasziniert ja immer dieses zusammengehen von seinen unglaublich präzisen beschreibungen und den traumbildern. wahrscheinlich perfektioniert in den surrealen vignetten in das abenteuerliche herz. die sind so luzide. die hat einer geschrieben, der wacher war als die meisten menschen. ich hatte bei ihm immer das gefühl, dass er ein wissen über den mythos, über den ursprung hat, über dinge, von denen heute fast keiner mehr eine ahnung hat. dann natürlich die tagebücher, vor allem die aus paris während des 2. weltkriegs (gärten und straßen), aber auch die reisetagebücher. jünger war auch ein großer reisender, nicht nur käfersammler. hast du auch in stahlgewittern? das würde ich am ehesten verscherbeln, bringt wahrscheinlich auch am meisten. ist ja ziemlich unglaublich, dass du mal bei ihm warst. ich wollte ihn immer mal besuchen, als ich um die 20 war. irgendwann ist er dann doch gestorben, ich hatte schon fast gedacht er wäre unsterblich. oder dass er mich zumindest überlebt.

Casino - 5. Januar, 23:52

oha! schau an, und ich dachte, den liest niemand mehr. ich werde ihn verkaufen, weil mir seine sprache so ein getöse ist, ein einziger imperativ, alles ist mit metaphern beladen, aber es sind keine eigenständigen metaphern, es sind eher expressionistische vormoderne Standbilder, zb solche: Hinter den roten Fronten, die zum ersten Mal die Kugel des Planeten mit glühenden Nähten schweißten, waren die grauen, lichtlosen Tiefen der Arbeitsheere ausgedehnt. (über Arbeit für den Krieg); oder sowas hier:
Nun aber war das Leiden allgemeiner und dunkler verflochten; es reichte tiefer in die mütterliche Schicht. Es näherte sich der ewigen Wahrheit der großen kultischen Bilder an. Aus diesem Grunde wird es das Fundament zu Bauten bilden, die höher in das Licht emporragen. So wie das Opfer, das im Unbekannten Soldaten Gestalt gewann, die Völker in ihrem Sinn erhöhte, wird das neue Opfer weit über ihre Grenzen wirksam und bildend sein, als Erdopfer selbst. (beides aus: "Der Friede", entstanden 1944, zuerst veröffentlicht 1964)
Im ganzen Text nicht eine einzige politische Zeile, gut, schlechtes Beispiel vielleicht. Das wenige, was ich sofort wieder aufgehört habe zu lesen, hat die Dinge und die Personen, die Natur, immer nur wie abgehandelt, mit so einem drohenden inhärenten Verweis auf all die höheren Mächte und esoterischen Bedingtheiten, denen Leser wie Buch unterworfen waren. Ich fand das fast verächtlich der Wirklichkeit ggü, alles immer nur Symptom einer Ordnung der Welt, die Jünger dem Leser voraus hat, wo wir hin sollen, zur Erkenntnis, und man hat immer das Gefühl, die lauert richtig hinter den Sätzen. Andrerseits, so beim Blättern grad, das hier ist auch wieder schön:
Der Nebel verleiht den Städten eine intime Note, einen Kammerton. Tagsüber mildert er die Formen und dämpft das grelle Licht. Bei Nacht verwandelt er die Quartiere in große Häuser, in denen sich Flur an Flur und Zimmer an Zimmer schließt. Es gibt Naturen, die solches Wetter verabscheuen, und andere, die es auf die Strasse zieht. zu ihnen zählen nicht nur jene, die das Enge, Vertraute lieben, sondern auch all, die gern maskiert gehen. Einsame, die den Tag mit sonderbaren Grillen verdämmert haben, werden nun munter wie Fledermäuse auf dem Dachboden. Die Liebespaare umarmen sich wie unter Tarnkappen. Lepröse genießen die reine Luft. Raubtiere begehen ihre Wechsel, während man in den Häfen die Nebelhörner hört. ("Eine gefährliche Begegnung", 1985, S. 53)
Lepröse! Nebelhörner! Ist doch toll.
Die autobiographischen Sachen schau ich mir nochmal an, da hast du mich neugerig gemacht, und die Annäherungen, bis dahin bleib ich skeptisch. Zuwenig Demut in den Texten, und: zuwenig Frauen.
Casino - 6. Januar, 00:30

hälfte vergessen grade: ja, die widmungen sind von ihm selbst an meinen vater. und die jungs, das ist ein interessanter gedanke, ob die mal jünger lesen? das argument gefällt mir, besonders der teil "mit 16", aber ich habe noch andere autoren geerbt, die ich ihnen lieber überlasse als e.j., der ist mir nicht ganz geheuer, diese art luzidität, die du beschreibst, hat sowas deklamatorisches, die macht mir angst
alex63 - 6. Januar, 13:32

dass die frauen kaum in jüngers büchern auftauchen, hat vielleicht folgenden grund:

Jüngers Problem ist ein Jahrhundertproblem. Bevor Frauen für ihn eine Erfahrung sein konnten, war es der Krieg.“ Heiner Müller, 1992

wobei ich gerade ein stück aus das abenteuerliche herz gelesen habe, wo eine frau die hauptperson ist. es heißt aus den zeitungen (in meiner ausgabe s.85) und analysiert, wie sie ihre beiden getöteten jungen "begrüßt" als sie vor ihren särgen steht.

Hab' ich euch endlich, meine lieben Jungen!

ein gutes beispiel für das was ich mit jüngers wissen meinte. da schürft er tief. es hört auf mit dem weiblichen blick auf den mann:

Die männliche Bahn wird wie die des fliegenden Fisches gesehen; aus den Elementen auftauchend, spielt sie für kurze Zeit im farbigen Licht und kehrt in die Tiefe zurück.

hast du nicht schon mal sowas ähnliches hier geschrieben?

bzgl. demut, eine passage ganz am anfang von das abenteuerliche herz:

Die eigenen Bücher nimmt man deshalb so ungern zur Hand, weil man sich ihnen gegenüber als Falschmünzer erscheint. Man ist in der Höhle des Ali Baba gewesen und hat nur eine lumpige Handvoll Silber zutage gebracht. Auch hat man das Gefühl, zu Zuständen zurückzukehren, die man abstreifte wie eine vergilbte Schlangenhaut.

bin mir auch nicht ganz sicher, was du damit meinst, dass er der wirklichkeit gegenüber verächtlich ist weil er sie als symptom der ordnung der dinge beschreibt, die er dem leser voraus hat und die er ihm aufzwängen will. mir scheint, er beobachtet ziemlich genau. wie er seine beobachtungen mit philosophischen und z.t. auch esoterischen gedankengängen verknüpft, finde ich oft interessant, habe nicht das gefühl überrumpelt zu werden. der bildungsballast, der da gelegentlich aufgetürmt wird, stört mich manchmal, aber wenn es zu abstrus wird, dann schalte ich meist ab.
Casino - 6. Januar, 22:40

"Hab ich euch endlich" - ist das in dem Zusammenhang nicht Propaganda as it's best, von J. zitierte vielleicht, aber doch? Und die Passage über den Mann, die ist schön , aber auch zutiefst zeitgebunden, es hört sich nach der Tiefe der Romantik an, naturbebunden und frei von Verantwortung, schön als lyrisches Bild. Und Demut, schwieriges Wort, weiß ich, aber ich meinte das nicht im Sinne von Bescheidenheit, eher bezogen auf das, was ich als nicht angemessen bei Jünger wahrnehme (von meiner Wart der Nichtkennerin, von der du mich allerdings bald runter geholt hast), eher eine schriftstellerische stilistische Entschheidung, Personen und Gegebenheiten auktorial zu schildern, nicht im Entstehen, dem Leser das Urteil überlassend, sondern schon zu einem Bild oder einer Interpretation verdichtet, die dann für meinen Geschmack zu oft wertend sind, und mir erscheint der Maßstab für diese Wertungen zu darwinistisch oder zu egoman, der ich-habe-erkannt-Stil. Und der wiederum scheint mir dann sehr zeitgebunden und auf eine bestimmte, nicht mehr so verbreitete Weise das Weltbild des Autors transportierend. Ist jetzt aber sehr blind geschossen, ich werde ihn auf jeden Fall aufgrund deiner comments erst lesen und dann vielleicht verkaufen. (Ich habe grade aber auch zugegebenerweise deswegen Schwierigkeiten mit Jünger, weil ich dank Vigilien grade wieder Powys lese, Wolf Solent, der einen statt mit der Jüngerschen abschließenden Sicherheit mit einer großen Neuierde, einem Frühlings-, Natur- und Erlebenshunger zurücklässt. Die beiden passen halt gar nicht z'samm)
alex63 - 7. Januar, 10:29

"Hab ich euch endlich" - ist das in dem Zusammenhang nicht Propaganda as it's best, von J. zitierte vielleicht, aber doch?
genau das habe ich am anfang des textes auch befürchtet - wobei jünger und propaganda ungefähr so gut zusammengehen wie katze und wasser - und einen schrecken gekriegt, es geht aber um was ganz anderes. nehme jetzt mal an, dass du das abenteuerliche herz nicht hast, oder? sonst hättest du es nachgelesen. zum ersten sind die beiden söhne nicht im krieg gefallen (das buch ist ursprünglich von 1929, 1938 überarbeitet). sie sind erschossen worden, wahrscheinlich von der polizei. sie waren verbrecher. jünger fasziniert nun diese unvermittelte reaktion der mutter - im angesicht der polizei, des staatsanwaltes, arztes etc. wie jünger annimmt, die er einem vater nicht zutrauen würde. der würde sich eher distanzieren, würde sich im angesicht der ordnungsmacht unwohl fühlen ob seiner missratenen söhne (weiß nicht ob das heute noch so stimmen würde, aber ganz falsch wäre es wohl auch heute nicht). daran an schließt er den gedankengang, dass das verhalten der mutter eine überlegenheit über den staat ausdrückt, dass revolutionen erst dann durchschlagen, wenn die mütter mitmachen. am ende analysiert er dann noch die wortwahl und die vokalfolge des ausrufs. wie die letzten drei betonten vokale (ei, ie, u) immer tiefer herunterreichen und die klage akzentuieren, wie der anfang einem versteckten jubel gleichkommt, die beiden nun unwiderruflich bei sich zu wissen. hast schon recht, viel freiheit lässt jünger dem leser da nicht, aber mich faszinieren solche interpretationen. powys kenne ich nicht. hast mich jetzt aber doch etwas neugieriger gemacht auf ihn.
Casino - 8. Januar, 22:31

das buch habe ich in der tat nicht. die äußerung wirkt sehr anders in diesem zusammenhang und rahmen, stimmt, sie bleibt ziemlich grauslich und bietet in der tat stoff für ganze romane. (das wird jetzt so enden, dass ich mir noch mehr jünger besorgen muss, anstatt ihn zu verkaufen - nee nee, das geht zu weit.)
alex63 - 9. Januar, 21:39

mit dem grauslichen hat es der jünger gelegentlich. wobei mich bei in stahlgewittern, wo er wohl seinen frühen klimax des horrors erreicht hat, eher das unbeteiligte gestört hat. man hat das gefühl er wohnt der tagtäglichen apokalypse (1. weltkrieg, stoßtrupp, glaube ich) bei und ist doch immer nur beobachter. als wäre er gar nicht selber aktiv dabei gewesen. und wäre nicht dutzende male verwundet worden. liest seinen tristram shandy und hört im nächsten moment die todesschreie von von granatsplittern zerschossenen kameraden. leute, die gliedmaßen verlieren und es selbst als letzte merken. das ist so surreal in seiner plastischen realität alles. und mechanisch. bis heute bin ich mir nicht klar geworden darüber, ob es nicht eigentlich das antikriegsbuch überhaupt ist. obwohl er es so natürlich nicht beabsichtigt hat. es ist eine qual das durchzulesen.

also wenn du unbedingt mehr jünger haben willst (wie du da nettsein und ironie zusammenbringst, das hat was), damit könnte ich dich versorgen. aber nicht mit in stahlgewittern. das habe ich der bücherei zurückgegeben.
Nachtbriefkasten - 5. Januar, 12:01

Ich genieße diese Schreibe.


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