tagebuch

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mit hund im saturn am alex, etwas kaufen wollen, was ich überhaupt nicht brauche. ich trage emma auf den vielen, vielen rolltreppen, man muss zwischen den etagen immer einmal quer durch ein vollkommen gerechtfertigt wirkendes universum voller kaffeemaschinen, ein mann steht auf der ersten etage und lächelt mich an, wegen emma, denke ich, und lächle zurück. er folgt mir auf den rolltreppen, bis ich oben in der apple-ecke stehe, dort ist so ein noppenboden, anders als drumrum, emma will nicht gleich drauf, ich benutze den "und weiter"- befehl, sie tappt vorsichtig mit langer nase aufs applegrundstück. als ich aufsehe, steht der mann direkt vor mir, er hat gar nichts käuferhaftes, er ist zum zeitvertreib hier, denke ich, im oh-no-modus, aber gucke ihn mir natürlich an, er hat ein armes gesicht und einen edlen mantel, mit einem auffälligen rotweißgestreiftem schal, der mantel neu, der schal nicht. er zögert und kommt näher. ich will eigentlich nur geld ausgeben und nicht reden und sage eher ungelenk is was? er winkt ab, nein nein, gar nichts. ich stehe da wie festgeklebt und bin wehrlos, weil ich traurig bin, er ist das auch und redet stockend weiter. "ich bin nicht von hier, ich bin aus villingen-schwenningen", sagt er, schwäbisch mit unklarem akzent, ich denke: wow. "von da bin ich aber auch nicht, ich komme aus italien, süditalien". ich gebe auf und atme aus, der hund kriegt das irgendwie sofort mit und legt sich vor mir auf den boden, wir sind im weg, die hipster stehen an den ganzen macs und ipads, alles große, gutaussehende männer in ollen jacken und mit bärten. ich antworte in seiner sprache. er erzählt mir nach wenigen sätzen sein ganzes leben, wie er einmal abends nach hause kam, und seine frau war mit den beiden kindern ausgezogen, nach 6 jahren, er hat sie nicht geheiratet, obwohl er katholik ist, hätte er das, und wären sie in italien geblieben, dann wäre sie nicht gegangen, und gleich wird er seine kinder wieder treffen auf dem alex, zum ersten mal ohne das jugendamt, nach 5 monaten. er war beim jugendgericht heute, und es war eine meraviglia, er darf die kinder sehen, einmal im monat, sie war die liebe seines lebens, sagt er immer wieder, "sie ist die liebe meines lebens, und sie hat mir alles genommen". ich will immer dazwischen und ein bisschen über die liebe reden, aber er hat keinen sinn für sowas, er sieht mich mit einem ganz offenen gesicht an und sagt am ende: "heute ist ein guter tag, ich habe sie getroffen und sie können italienisch, und gleich sehe ich meine kinder." ich fühle mich wie ein sahnebonbon und gebe ihm nicht meine nummer, er fragt auch nur halbherzig danach, als geste der höflichkeit. wir geben uns die hand zum abschied. danach will ich mein geld ausgeben, schon mit weniger schwung, und suche einen saturn-menschen. einer steht vor einem sony-laptop und putzt es mit einem sony-tuch. "ich bin gleich bei ihnen, wenn ich mit diesem rechner fertig bin", was? frage ich, und denke, dass das ein tag voller wunder ist. nach minuten putzt er immer noch. ein anderer steht vor einem toshiba-laptop und redet mit einem kunden. stelle mich daneben und warte, nach ein paar minuten merke ich, das sind freunde, die unterhalten sich über ihr lebensthema, toshiba. es dauert ewig, danach frage ich nach meinem artikel, nein, gerade das haben wir nicht vorrätig, sagt er. ich trage emma wieder raus aus saturn, gar nichts mitgenommen, was gut ist, weil ich brauche dieses ding nicht wirklich, und denke, dass mein karma heute nett zu mir war. wir laufen nach hause, den ganzen prenzlauer berg rauf, meine ohren werden so kalt, dass ich joggen muss mit meinen winterwanderstiefeln und dabei die hände auf die ohren halte.

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leider fällt die kameliendame mit sophie rois heute aus, sie hat sich wahrscheinlich erkältet.

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es gäbe viel zu erzählen, aber ich komm zu nichts. es fallen entscheidungen, kleine und größere, mal wieder ist alles, aber auch fast alles im fluss, nur ich selber nicht. i'm grounded.

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mit den vom vater wiedergekommenen kindern eher aus versehen love actually im fernsehen geguckt, die jungs den rest des abends aufgeregt, kichernd und flüsternd durch die wohnung hüpfend, nur einer kreischt noch "iiih" bei den kussszenen, und zwar der große, eher aus deckungsgründen. die jungs finden den film schön, es ist ja auch ein kinderfilm

ob es leute gibt, die an keiner stelle des film feuchte augen kriegen? nee, sagt es mir bitte nicht.

anruf gymnasium, der große fühlt sich "schlapp" und wird nach hause entlassen. der ungerührte gedanke, dass "wir" früher nur mit fieber und/oder schüttelfrost nach hause durften. sofort weg, als die übliche angst sich meldet. und wenn es diesmal losgeht? die untersuchung ist anderthalb jahre her. 95% hieß es damals von den arschloch-studienhilfen, das sind rational 100%, bei unser großen affinität zu murphys law eher mehr. ich glaube an gar nichts. aber er trinkt nicht mehr als sonst, er ist eigentlich fit, die schule ist anstrengend! genau.

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das beruhigende ist die sicherheit, die ich inzwischen entwickelt habe, in der entscheidung, wohin ich mit dem kranken kind soll, ins bett, zum kinderarzt, ins krankenhaus. wirklich traurig und dumm und doofest ist es, dass der gregor direkt von der rettungsstelle weg an den antibiotika-schlauch gehängt wurde, wegen etwas so unwahrscheinlichem wie einer speicheldrüsenentzündung, ich meine, wer hat je von sowas gehört? und wir unseren lang, langersehnten und sehr nötigen urlaub im hotel am meer mit büffet nicht antreten können, jedenfalls nicht heute und nicht morgen und übermorgen wohl auch nicht, wie die ärztin sehr cool bestätigte. gregorchen sass auf dem stuhl des hno-arztes im krankenhaus und die tränen liefen im fett übers gesicht, aber er hat keine miene verzogen, mein armer kranker held. (echtes jammer-posting, dieses.)

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heut nacht von der stattkatze geträumt, dass sie mich besucht und dass wir uns unterhalten. ich weiß, dass fast niemand meiner freunde diesen teil von mir so gut kennt und wiedererkennt wie die stattkatze, er ist so nahtlos integriert ins gesamtbild, niemand interessiert sich dafür, er ist sowieso kaum zu erkennen - dann lese ich ihren text und will ihn fast nicht mitteilen, weil er so genau und vollständig ist, so privat, auch wenn mein körper, (nee: ich) nur den diabetes hat.

Wir sind allein mit unseren Zahlen, das lernt man in der allerersten Nacht.

das ist etwas, mit dem man lebt und sich darin einrichtet- manchmal denke ich, dass mein "allein"leben sich auch ein bisschen aus dem diabetes erklären lässt, weil das alleinsein in diesem zentralen teil meiner person sowieso selbstverständlich ist, man kommt gar nicht mehr auf die idee, es beenden zu können, es ist in den körper eingeschrieben.

übers bloggen mehr diabetiker kennengelernt als in den 20 jahren berlin davor - vermisse immer noch eine intelligente plattform für uns, ohne simpel und ohne pharmaindustrie, die immer nur ihre neuesten geräte verhökern möchte, dabei sind die nicht so wichtig, sie sind notwendig, aber niemand möchte sich mehr als nötig damit befassen und langes feel-good- werbegehupse darüber lesen müssen. wir sind nicht nur markt.

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wie man sich in fröhlichem galopp in den sicheren hafen der muttersachen rettet, in gedanken, ins überschaubare und mit rezepten gepflasterte gelände, in den gepflegten garten, wenn der frühling mit seinen ganzen neuanfängen heranpoltert, geh weg, geh vorbei, wie jedes jahr, hier gibt es kein futter für träume.

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mein verhältnis zu meiner putzfrau ist dergestalt, dass ich ihr erkläre, warum ich dieses jahr nicht selber fenster putze/ gardinen wasche (ein arm geht nur auf 45° hoch wegen einem sturz) und sie mir daraufhin anbietet, weniger geld zu nehmen dafür.

knuti.

knut wird mir fehlen. ich weiß noch, wie sich das angebot anfühlte, das rbb- knutblog zu übernehmen, ich war beeindruckt von den besucherzahlen und hatte etwas bammel vor dem auftrag, ein so lebendiges und gutdurchblutetes weblog in den händen zu haben. ich hatte keine sekunde angst vor den texten oder dem schreiben (difference), und die geschichten sind denn auch einfach beim hinsehen und zuschauen aufgeploppt, weil der bär so sehr alle spielerischen und kindlichen sinne aufgeweckt hat.

morgens hat er sich aufgerichtet, ein bisschen mit dem kopf gewackelt und herübergeguckt, das runde, pelzige, tollpatschige sehr sichtbar und das wilde bedrohte raubtier ganz weit hinten im kopf, es gibt ja wenige orte, wo die macht der zivilisation so deutlich ist wie in einem zoo, all das artgerechte und eingezäunte, das nahe, die wildnis fast zum anfassen, der abstand immer ein bisschen mehr als nur symbolisch, der herrschaftsanspruch akzeptiert und überwuchert vom event-dingens. dann lernt man die vielen knutfans kennen, erkennt die pfleger, lernt auch all die anderen tiere kennen, und die theorie verschwindet angesichts der schönheit des zoos, der sofortigen entspannung, wenn man dort herumspaziert.

er hat mit seinem publikum, mit uns, tatsächlich ball gespielt, er hat den kopf in den nacken gelegt, schwung geholt, und die bälle mit karacho über den wassergraben ins publikum gepfeffert, und ist begeistert hinterhergesprungen, sobald sie zurückgeflogen kamen.

ich habe die bärenvermenschlichung abgelegt mit ende des rbb-jobs, aber beziehungen haben zum glück eine autonomie, ein eigenleben, und so hab ich ihn weiter richtig gern gehabt.

der tick kindliche wut dabei, dass ein so großes und starkes raubtier auf menschlichen schutz angewiesen ist, weil seine rasse sonst verschwinden wird vom antlitz der erde. ärger mich, dass ich antlitz schreibe, wo doch die eisflächen der arktis so unendlich viel älter und größer und kälter sind als ein dummes vergängliches antlitz.

und dann spielt knut mit irgendwas in seinem kleinen tümpelchen, und man beginnt zu lächeln, weil spielen und die freude daran so absolut universal verständlich sind.

außerdem liebte er croissants! nein, er war nicht besonderer als andere eisbären, aber diesen hier haben wir gekannt, und das ändert schon alles. er war eben knut, und ich werde ihn ernsthaft vermissen.

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als der dritte schnupfen in folge hochgeht, mit vier kurzen runden gesunden tagen dazwischen, kriege ich einen echten wutanfall, tobe und schimpfe. niesanfall mit zwei schweren einkaufstaschen, zu hohe schuhe für das grausliche berliner pflaster, zuhause geben die kinder mit gutem grund kontra und werden gehört natürlich. nebenbei immer japan im kopf und in den gliedern, wie schon das ganze wochenende lang, es legt sich um die brust.

kochen muss trotzdem. der nächste mann kann sein wie er will, aber kochen muss er können, mein beziehungsideal grad: jemand der sagt, leg dich hin, ich mach das heute, hühnerfrikassee? aber gern, willst du einen tee vielleicht? nee, ich hab schon eingekauft.

und dann schmeckt es auch noch. heute aus lauter biosachen ein wunderbares hühnerdings gekocht, total genervt nebenher, aber egal: gelungen, lecker, reicht für morgen nach der schule auch noch.

japan als riesenelefant im raum. elias erzählt, seine mathelehrerin hätte nur ein paar sätze dazu sagen wollen, dann habe jemand eine frage gestellt, dann hätten sie die ganze stunde nur darüber geredet. alles wirkt schal und transparent vor der katastrophe.

das plutonium hat dabei die hässlichste fratze, die menschenleben der japanischen entscheider und verdränger und politiker und überhaupt aller werden staub und nichts und nochmal nichts, bevor das gift wieder raus ist aus der welt. gäbe es einen gott, er dürfte verschnupft sein angesichts solcher missachtung der schöpfung. die banalität der gründe, profit und energie vorher, danach eine welle, die einen dieseltank mitreisst.

die kinder tanzen und hopsen ein lied, bei dem alle körperteile geschüttelt werden, gackernd, einer mit darth-vader-maske auf. die heiligkeit, nee, die magische unversehrtheit, nee, auch nicht, die schönheit von kinderkörpern, wie unverletzbar körper sein sollten.

als elias neugeboren war, wie ich nichtmal die autoabgase an seine lungen lassen wollte, der kaum bremsbare schutzimpuls, wie ich große strassen gemieden hab, wie nötig und unerfüllbar dieser wunsch ist, wie man seufzt und dann in die küche geht, um aufzuräumen.

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