Mittwoch, 7. November 2007

Un delitto italiano

Gestern im Babylon zum ersten Mal Un delitto italiano, von Marco Tullio Giordana gesehen, ein klarer und politischer Film über den Mord an Pasolini, mit der Kargheit einer Dokumentation, ohne jeden auktorialen Gestus wird diese Nacht des 2. Novembers 1975 und ihre Folgen in vielen nebeneinander herlaufenden Handlungssträngen nacherzählt. Dem Regisseur gelingt dabei eine große Authentizität, er erzählt ausschließlich den Mord, nicht das Leid der Familie und Freunde, nicht Italien, nicht die Siebziger, nicht einmal die intellektuelle Stimmung des Landes, der Film bekommt durch diese Konzentration eine traumwandlerische Zeitlosigkeit, weil er sich auf Personen, Dialoge, Innenräume beschränkt, die einzigen Außenaufnahmen zeigen den Fundort der Leiche. Im winzigen Raum vom Babylon-Studio, an dem ist die Leinwand das größte, und die ist nicht mal groß, da sitzt man dann im selben Zimmer, man erkennt den Staat am Tonfall, man hört die Stimme des Volkes in dem Jungen. Ich hatte alles vergessen, was ich wusste über diesen Tod.

Giordana folgt der Position der Pasolini-Familie, die den damals minderjährigen Pelosi für nicht alleinschuldig hielt, und im Film wird das auf echt Poiroteske Weise bewiesen, nach Art von klassischen Gerichtsfilmen, als Sieg über die Entropie. Wahrheit als die eine Version, bei der alles, jedes Indiz, jedes Objekt und jede Spur ihren Platz finden, und nur diesen, bei der nichts außer Acht gelassen wird, und die folgenlos bleibt, so wie es eben ist. Die allseits geteilte Meinung, dass in Italien alles möglich ist, muss dazu gar nicht bemüht werden.

Giordana schließt mit einem Text aus den Freibeuterschriften, in dem es um die Machtlosigkeit der Intelligenz geht, ein Text aus den 60zigern, ohne Angst vor großen Worten und ideologisch sehr, naja, sehr standfest, mit dem Pathos und der Verzweiflung der Propaganda, Pathos in der Behauptung, es ist so, und Verzweiflung in der Erkenntnis, es bleibt so. Vor allem geht es mir schon nach, wie Pasolini da seinen eigenen Tod Jahre im voraus beschreibt.

Pelosi, der verurteilte Mörder, hat gerade erst noch einmal seine Schuld geleugnet, und berichtet von drei ominösen Tätern, die längst im Dunkel der Geschichte verschwunden sind, auch die SZ hat berichtet.

Hehe, heute endlich mal wieder PPP-Day. Er hat ja eine Myspace-Seite, und auch bei youtube gibt es ein paar Schnipsel, PPP über das Fernsehen:



und im Interview mit Ungaretti, über Homosexualität:

Trackback URL:
https://hotelmama.twoday.net/stories/4419395/modTrackback

goncourt (Gast) - 7. November, 17:25

Als ich ihn noch nicht im Original lesen konnte, ist mir der Wagenbach-Verlag ja auf den Geist gegangen mit seinen -xten Pasolini-Anthologien, bei denen kaum ein Gedicht geschweige denn Gedichtband vollständig herausgebracht wurde. Das Bild von PPP ist dadurch überhaupt sehr unscharf geblieben, man hätte ihn noch interessanter, manchmal auch ambivalenter finden können (La ricchezza ist ein sehr ambivalentes Poem mit zahllosen großartigen und zahllosen fragwürdigen Passagen).

So weit ich sehen kann, gibt es nicht mal eine Übertragung von "A Rudi Dutschke".

Casino - 7. November, 19:53

stimmt, die haben einen ganz durcheinander gebracht, da gabs wohl eine leidenschaft bei wagenbach, gepaart mit misstrauen, aber ich mochte immer deren respekt auch für die ganz frühen sachen (Timp furlan! Na scussa umida / di sanbùc, na stela / nassuda nenfra il fun / dai fogolàrs [...], aus dem ersten band, glaub ich) "La richezza" les ich grad noch mal, unglaublicher text, bei den ambivalenten stellen war ich noch nicht bis jetzt. den dutschke hab ich leider hier nicht gefunden, den könnte man doch mal übertragen, so an winterabenden.
goncourt - 7. November, 22:31

Ich finde den immer wieder einsetzenden Stil nach d'Annunzio, den von ihm geliebten decadentismo ambivalent. Gleich am Anfang: "E sulle volte / ardenti sopra la penombra in cui stanato / si muove, lancia sospetti sguardi / di animale"

Ich hatte früher selbst mal angefangen, das Gedicht zu übertragen — Wie lange ich mich allein am dritten Teil versucht habe, um diesen Benn-Expressionismus, der sich im Deutschen sofort aufdrängt, wenigstens etwas zurückzudrängen, wer weiß, ob das legitim ist:
Mein Gott, was ist dies für eine stille
Decke, die über dem Horizont entflammt ist...
dieser Firn von schimmligem Schnee — blutend
rosa — dort, von unterhalb der Berge bis hin
zu den blinden Kräuselungen des Meeres...
diese Feuer-Kaskaden, die der Nebel
begräbt, dass das ganze Gebiet von Vetralla
bis zum Circeo einem afrikanischen
Sumpf gleicht, auslaufend in tödlichem
Orange... Schwaden gähnender, schmutzgrauer
Dämpfe, bleich geädert in glühenden Linien,
lodernden Ganglien: dort, wo die Täler
des Appenin in Himmelsbuchten münden, in den
dunstigen Agro und das Meer: doch scheinen,
gleitend wie Ähren oder Bögen auf schwarz
gekörnten Wellen, Sardinien oder Katalonien
zu nahen, jahrhundertelang in ein enormes
Feuer versunken; und scheinen über das Wasser,
das sie eher träumt spiegelt, ihr ganzes
noch glimmendes Holz, jeden weißen Kohlerest
von Stadt, jede Hütte, die der Brand
vertilgt hat, ausgekehrt zu haben, verblaßt
unter diesen Wolkenflächen des Latium.
Doch ist all dies nunmehr Rauch, und du
würdest staunen, könntest du aus diesen
verkohlten Resten, zwischen den Ställen,
Rufe frischer Kinder vernehmen, oder
herrliches Glockengeläut von Hof zu Hof,
hinauf, hinab, entlang der Via Salaria,
die, in den Himmel fliehend, schon zu erspähen
ist, folgend dem traurigen Feuer, welches
sich verliert in unermeßlicher Zersetzung.
Denn jetzt führt sein Tosen, dem mit dem Blut
die Farbe weicht, beharrlich tiefer in das
Geheimnis, wo, unter diesen aufgezehrten Wolken
lodernden Staubs, diesem himmlischen Grabtuch,
Rom seine unsichtbaren Gassen birgt.
(Trotzdem versuche ich seitdem immer, Sardinien aus dem Flugzeug zu entdecken; — & tschuldige, wenn ich Dir hier so meine frühen Übertragungsversuche reinposte.)
Casino - 8. November, 12:58

Hey, ich gehe zu früh schlafen, offensichtlich. danke! poste doch bitte den rest auch noch rein. hab p noch nie auf deutsch gelesen, die andere sprache ändert aber in der tat den semantischen hall der bilder, und im deutschen ist das literarische echo ja fast genauso stark, oder so laut, wie die bilder im text. man müsste vorsichtig bereinigen, vielleicht nicht lexikalisch, sondern syntaktisch und grammatikalisch? aber dann ist es keine übertragung mehr. da hast du dir einen ordentlichen brocken ausgesucht!
Gott, was ist diese stille Decke,
die über dem Horizont aufflammt …
diese Schneewehe aus Moder – rosa
rot von Blut – hier, vom Bergschatten
bis zu den blinden Kräuselungen des Meeres...
diese Kavallerie von Flammen, begraben
im Nebel, sie macht aus der Ebene
von Vetralla bis zum Circeo einen afrikanischen Sumpf
urks, da hört es auf bei mir: far sembrare. ein hoch aufs italienische, das deutsche wirkt umständlich, aber darf man so einem metaphernreichen text noch eine draufsetzen?

mir scheint die übertragung ziemlich gelungen, ehrlich gesagt. dein italienisch kann unmöglich ganz verschwunden sein, wenn es mal so gut war, hmm? (man begreift plötzlich die aufgabe, vor der isabo steht, auch weil der verlust zwischen den sprachen so schlecht lokalisierbar oder nur beschreibbar wird. kompromisse immer)
Casino - 8. November, 13:28

Jetzt erst gemerkt, habe mich kurios verlesen: Statt "Als ich ihn noch nicht im Original lesen konnte" las ich "Als ich ihn noch im Original lesen konnte", Dekadenz, wo Fortschritt gemeint war. November.
goncourt - 8. November, 16:52

;)

Ich fürchte, der gesamte Text wär a bisserl lang.
Casino - 8. November, 18:33

La Richezza komplett? Ich stelle mir den Kasten mit Pasolini vor, also den im Hinterkopf, wie man ein-oder zweimal pro Jahr das oberste Blatt aufnimmt und reinliest, ausgelöst durch einen Zufall oder einen Film, dann sich festliest und noch ein Blatt rausholt, und noch eins, dann vielleicht einen Zettel und ein paar Kinokarten und die olle Videokassette mit Totò, oder einen vergilbten Garzanti-Band, alles bekannt samt Geschichten, und es wäre eigentlich ziemlich klasse, wenn da lauter neue Blätter dazukämen, aus dem Internet. Liegen die bei dir im Laura-Betti-und-die-anderen-Karton?

(beloved love)
(missing tug)
angelweide
beliebigkeitsbloggen
blogger in der welt
dog alert
first date speeches
futilità
glück
herbst!
i need a hug
keine theorie
kleine geschenke
kosmische Ballistik
last date speeches
Pastawartezeit
... weitere
Profil
Abmelden
Weblog abonnieren