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Kreuzberg sah gestern sehr nach 1. Mai aus, alles zugesperrt, die Menschen geballt vor den Lokalen. Wir haben den Abend wunderbar auf einer Dachterasse unter blühendem Oleander verbracht, und waren so ins Gespräch vertieft, dass ich nicht mal die Tore mitgezählt habe, sie schienen auch zu viele für ein einziges Spiel.

Überhaupt ist meine Fussballbegeisterung very fluctuating, ich kann mich da immer sofort reinsteigern, besonders in Gesellschaft von Freunden, die ich liebe und die den Fussball lieben, aus reiner linkshändiger Empathie, aber so ein Superspiel hat einen merkwürdigen Effekt bei mir, es setzt meine Gedanken komplett frei. Ich folge dem Spiel und den Spielern und dem Ball, ich kann sogar mitbrüllen und hüpfen, und dann plötzlich bin ich ganz woanders, bei Träumen oder Gefühlen oder anderen Weltsystemen, gleichzeitig leer und frei. Bis dann wieder was lautes oder wichtiges passiert und mich ins Spiel zurückholt. Es interessiert mich nicht wirklich, wer gewinnt, meine Parteinahme ist ein Spiel, wie fast immer unter Frauen zumindest, or not? (Auf der Oranienstrasse bin ich noch in einen Kiosk zum Ersatzknabberkram kaufen, und 30 Meter weiter war die Strasse gesperrt wegen den Menschenmassen darauf, aber sie hatte keinen Fernseher an in ihrem Geschäft, trotzdem, aus Plauderlaune, mache ich Bemerkungen darüber, wer wohl gewinnt, was sie wohl hofft, na, wir sollen gewinnen sagt sie, ich erzähle ihr dass meine Mannschaft, die Italiener, ja schon im Orkus verwunden seien, naja, sagt sie, ihr habt doch die WM gewonnnen, stimmt, sage ich, schönen Abend noch, trotzdem hatte ich ein Gefühl, als hätten wir uns unser Desinteresse auch mitgeteilt, im Fehlen von Begeisterung, im Grinsen, in der Entspannung ohne Tv-Bildschirm, im Zeitnehmen, aber nicht als etwas Überhebliches, sondern ganz matter of factly) Selbstverständlich möchte ich am Sonntag gerne gucken, ich kann mir die Spannung und die Leidenschaft anziehen wie ein sehr glattes Gewand, mit dem man dann wohin kommt, und dieser öffentliche Prozess aus Engagement, Geld, Leistung und Zufall funktioniert wie ein Portal, durch das man kann, wenn man will, und natürlich ist der Ankunftsort Privatsache, aber trotzdem ist man nicht allein da, sondern mit allen anderen, was mir jedenfalls ein schönes Massenfeeling verschafft, ein absicherndes. Meine Schwäche für starke Gefühle, die ich nicht ausleben kann, etwas austoben können, und diese Momente totaler innerer Losgelöstheit, wenn ich den kleinen herumstreunenden Spielern auf der Leinwand nachsehe, wie sie mit ihren Läufen Linien zeichnen über das Spielfeld, die sich mir immer erst nachher erschließen, wenn ein Tor fällt oder ein Pass funktioniert, wie sie alle fiebern und leiden, wie ich dann halt auch fiebern und leiden darf, laut und bisschen betrunken, mit meinem Bein an dem meines Nachbarn, als ginge es tatsächlich um irgendwas. Ich bin ein EM-Parasit.

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