Die besten Jahre in Italien
Gerade den zweiten Teil von La meglio gioventù gesehen, Die besten Jahre. Zwei auf sehr entspannte Weise lange Filme, so wenig monumental wie die Heimat, die Filmdauer mit Genauigkeit und der Zeit füllend, die Entwicklungen eben brauchen. Ein Film über Entscheidungen und über Sicherheit, die diese Entscheidungen begleitet, die ihnen zugrundeliegt, ein Boden wird, den man sogar als Zuschauer vergisst, obwohl er der große Unterschied ist zu allem das ich in Deutschland kenne. Dieser Boden trägt die Figuren im Film, er verleiht ihnen ein Rückgrat und ein selbstverständliches Gehör. Es ist nicht die Familie, obwohl der Film so beworben wird (italienische Grossfamilie blabla). Es ist das Fehlen der grotesken Vereinfachung, die in Deutschland die Debatte über politische oder andere Lebensentscheidungen begleitet. Man stelle sich einen deutschen Film über die 68ziger vor, der die Hörsaalreden, die Kadergruppen, die Demos und Schlachten einfach als Background einer Lebensgeschichte zeichnet, nicht als das über wohl und wehe entscheidende Links-oder Rechts. Tullio Giordano zeigt zwar biographische Verknüpfungen zwischen Beruf und Pertsönlichkeit seiner Figuren, aber der dramatische Tod einer der Hauptfiguren bleibt nicht erklärbar, wird nicht gewertet. Ich erinnere mich daran, dass es in Italien ohne den Rückgriff auf Hass funktioniert hat, es ging mit Argumenten, mit Meinungen, man durfte eine Persönlichkeit haben, die auch noch woanders stattfand. In Italien gab es vermutlich nicht neben dem politischen auch noch einen Generationenkonflikt auszutragen, man musste keine Nazis vertreiben, man hatte diesen Hass vielleicht nicht, dieses neurotische Splittergruppen-Gefasel, dieses Vernichtenwollen des Anderen. Man konnte trotz politischer Zwiste noch zusammen essen und trinken und in derselben Familie leben. Und das ist in Deutschland auch heute noch anders. (Abgesehen von der Politik muss man hier ja tatsächlich Lebenszeit damit vergeuden, die eigenen 3 Kinder zu rechtfertigen.)
Dazu noch die unausgetragenen Konflikte: bis heute fällt es italienischen Jugendlichen schwerer, unverheiratet auszuziehen. Wobei man hier zwischen Nord und Süd natürlich trennen muss. Das, finde ich, ist schon ziemlich ambivalent.
timp furlan
Sie haben natürlich recht mit dem Konflikt, ich hab mich in der Vereinfachung unklar ausgedrückt. Ich hab mir meine Beobachtung eines anderen Umgangs mit Konflikten, im Film vor allem, aber auch im ital. Alltag so erklärt. Ich glaube aber nach wie vor, dass der politische Konflikt dort nicht so stark über die Generationenfrage ausgetragen wurde wie hier- Waren das nicht eher Kämpfe zwischen den unterschiedlichen Interessen der Gegner, also der Parteien, der Kirche, Studenten, Arbeiter? Die ja im Unterschied zur BRD alle beteiligt waren, Fiat wie die Universitäten oder die PCI. Es gab also auch einfach mehr Gegner als nur diejenigen, die in der Hierarchie direkt über einem standen, die Väter oder Profs. Und in der BRD hatte die Auseinandersetzung mit dem 2WK, und darüber die mit dem Schweigen der Väter, eine viel größere Notwendigkeit. In Italien gehörten dann halt alle der Resistenza an, ein mythischer Ort, und es hat dort nie eine vergleichbare Schuld-Debatte gegeben. Gut, die Schuld war nicht vergleichbar, aber es fehlt trotzdem was. In Rom, auf dem Piazzale del Foro Italico, steht immer noch ein ziemlich großer Hinkelstein mit der Aufschrift Mussolini Dux herum, es gibt genau wie Sie sagen bestimmt noch notwendige Konflikte (aber ich werde meine Söhne auch nicht vor die Tür setzen... ich versteh sie ja, die italienischen Mamas).
Der „KP an die Jugend-Text“ ist vielleicht auch eine Verteidigung des Älteren vor der Jugend, aber den meisten Stoff gibt Pasolini gegen die „figli di papà“, mit denen ihm keine Identifikation möglich scheint. Im Film setzt Giordano genau die beiden Gestalten aus dem Gedicht in dieselbe Familie: den Polizisten, dessen Freund schwer verletzt wird im Strassenkampf, und den Intellektuellen, der das Ganze als amüsantes Laufspiel betrachtet. Das mag nur so eine filmische Engführung sein, aber ich denke und habe auch persönlich erfahren, das der Abgrenzungsbedarf in Italy nicht so groß war, also das die politische Meinung nicht sofort eine moralische Wertung nach sich gezogen hat. Und der Gegensatz im Text zwischen Kleinbürger und Arbeiterkind wird von Giordano aufgehoben, der seine Figuren ins selbe familiäre Mittelstands-Umfeld steckt.
Der Film hat bestimmt auch was idealisierendes, auf das ich mit meinem Italien-Heimweh natürlich sofort anspringe. Ui, ist lang geworden, aber heut ist ja auch Sonntag.
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