Freitag, 8. April 2005

Die Kirche und ich

Beim Anblick der alten Knacker in ihren wunderschönen Roben auf dem Petersplatz heute, alle windzerzaust und stillstehend in Macht und Pracht:

Ich erinnere mich noch an den Tod des letzten Papstes nach einer Regentschaft von gefühlten 3 Monaten, es schien mir lang genug damals. An die Tränen des Nachrichtensprechers der RAI, an das ungläubige Staunen, und natürlich an das Lächeln des lächelnden Papstes. Giovanni Paolo I., 1978 verstorben. Der Papsttod wurde von meinem Vater in der Familie sehr spöttisch kommentiert, und es ist mir damals schon aufgefallen, dass er beim Bäcker und beim Zeitungshändler ein ganz anderes Gesicht zu diesem Thema hatte als zuhause. Ich bin in einer ganz plastischen Kirchenpräsenz aufgewachsen, von der Wohnzimmercouch aus war durch die Fenster rechts und links neben dem Fernseher nur eine große grüne Kupferkuppel zu sehen, das Dach von S. Sebastiano, einer Kirche des 16. Jahrhunderts. Sie hatte einen schönen kräftigen drei-Glocken-Satz, neben dem das stumpfsinnige Gedengel der Kirche hier in der Senefelderstrasse ein einziges Elend ist, und diese alten großen Glocken schlugen jede Stunde, bis in den Abend hinein. Der Küster war ein ausgemergeltes dünnes Männchen, das die vielen Bälle, die wir aus dem vierten Stock in den Kirchgarten warfen, nie wieder herausrückte. Wir dachten, dass er dort einen Ballfriedhof eingerichtet hatte und verstanden nicht, warum er nie eine von uns hinein ließ. Viel später habe ich erfahren, dass der gute Mann dort einfach eine hübsche private Graspflanzung hegte, die er lieber für sich behielt. Ab und zu schlug ein helles Totenglöckchen, es schlägt so schnell, weil die Seelen ja immer so schnell weg sind, dachte ich als Kind. Der Katholizismus war für mich außerdem mit frühmorgendlichen Ritualen verbunden, weil eine Freundin von mir immer um 6 zur Messe musste, also VOR der Schule, da gab es für mich nur Kleinfamilie und keine große Welt des Glaubens. Überhaupt schien der Hauptunterschied zwischen Katholiken und Protestanten einer des Zeitaufwands zu sein: Katholik war man immer, von früh bis spät, und wir Protestanten gingen nur Ostern, Weihnachten und zu besonderen Feiertagen in die Kirche. Ich habe meine katholischen Freunde immer nur ein bisschen um ihre Rituale beneidet, eigentlich nur um den Automatismus des Rituals, nie um dessen Bedeutung, die mir immer nur fremd war in ihrer demonstrativen Klarheit. Das automatische bekreuzigen beim Taufbecken, das Stummwerden im Nachbeten der lateinischen Liturgie, und gleichzeitig das zutiefst harmlose dieser Gewohnheiten (die ununterscheidbarer Teil des Alltags werden müssen, um zu funzen), das hat mich am meisten gewundert bei Babsi, sie sagte „Ciao, ich muss noch in die Messe“ und war weg wie andere Leute zum Fussballspielen. Aber der Grund für diesen Zeitaufwand muss doch Angst gewesen sein, oder? Ich hatte als Mädchen natürlich nie Angst vor Gott, immer nur vor dem Atomkrieg und meinem Vater. Während die armen Katholen ein großes gut ausgeleuchtetes Panoptikum an Angstdingen zur Verfügung hatten. Aber vielleicht ist Angst nicht das schlechteste, um einen bei der Stange zu halten.

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