Dienstag, 5. April 2005

Der Pfad meiner Mutter

Bei meiner Mutter bedeutet Frühling vor allem: Jagdsaison. Meine Mama lebt nicht mehr wirklich im Jetzt, sondern immer kurz davor, als alles noch gut war, oder in der Zukunft, wo alles wieder besser werden soll. Sie hat für jedes Problem eine Lösung, und an der hält sie fest, egal an welchem Ort. Ihr Lieblingsproblem ist mein allein-mit-3-Kindern-Zustand, den sie ununterbrochen und vor allem im Frühling ändern möchte, deswegen hat sie neulich beim Publikumsgespräch nach Dido und Aeneas, müde und zu vorgerückter Stunde zunehmend schwerhörig, die anwesenden Männer auf Tochtertauglichkeit überprüft. Vorne saß Sasha Waltz, frisiert und geschminkt wie Elfriede Jelinek, und bewarf Attilio Cremonesi mit so süßen wie ungeübten Komplimenten. Cremonesi hat den verlorenen Prolog der Oper rekonstruiert, Waltz hat aus den Sängern Tänzer gemacht, alle sind glücklich geworden dabei, ich träumte ein bisschen über das Erhebende an der Theaterarbeit, und fühlte mich in meinem frühlingshaften Lagerfeld-Röckchen, schönen Schuhen, feinen Strümpfen und einem Seidenpullover nahtlos eingebaut ins bürgerliche Umfeld. Meine Mutter wollte die Chancen zur Tochterrettung nicht verstreichen lassen und riß mich immer wieder aus diesem verdienten Chillout mit Hinweisen wie: „Guck mal, dritte Reihe, der ist allein da und hat noch Haare! Guter Anzug, sieht aus wie geschneidert! Geh doch mal hin!“ Sie erklärt mir dann nachher immer, sie müßte so laut sprechen, sonst könnte ich sie ja nicht verstehen, nein, sie sei nicht schwerhörig, was reden die Leute auch so leise. Das alles ist dann doch ernüchternd. Überhaupt hatte ich den ganzen Abend über nur Blickkontakt zu einem alternden all-in-black-Lesbenpaar, die sich wahrscheinlich nur über meinen Rock lustig gemacht haben, und zu einem fetten Herrn, dem ich einen Stiletto-Tritt verpasst habe, weil er die ganze Oper über geräuschvoll die Nase hochgezogen hat. (Übrigends eine wunderbare Oper, sie soll in dieser oder der nächsten Spielzeit wieder aufgenommen werden.) Ich werde jedenfalls mit Muttern nur noch in männlicher Begleitung ausgehen.

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