(6 Anfänge)

1 Immer wieder einmal denke ich über Männer nach und darüber, was Männer womöglich zu mir bringen oder von mir fernhalten könnte. Also das bleibt ja ein konstantes Thema so durch die Jahre, das warum ja/warum nein, aber mit steigendem Grau-Anteil im Haar hat man als Frau zumindest für die neins eine unendlich große Auswahl an Gründen. Und diesen Gründen ist ein viel zu wenig beachteter Vorteil des Alterns Älterwerdens gemeinsam: Sie haben allesamt nichts mit einem selber zu tun. Die Natur ist schuld! Der Lauf der Dinge, der unaufhaltsame Fortgang der Zeit, allerhöchstens noch die Gene, und auch für die haben wir keinerlei Verantwortung. Und die Abhilfe ist praktischerweise käuflich und stillt neben dem Sühnebedarf auch noch einen gewissen spirituellen Hunger, weil man an die Wirkung von Anti-Aging-Produkten glauben muss, man sieht sie ja nicht. Gleichzeitig ist dieser Mangel so unwiderlegbar wie zeitlos, weil ausnahmlos jeder Mensch mit 40 anders aussieht als mit 30, und mit 50 anders als mit 40, usw.

2 Wie bei allen guten Ausreden bedarf allerdings auch die Altersausrede einer gewissen Pflege. Man muss sie im Gleichgewicht halten, sie hat nämlich einen fatalen Hang zur Verselbständigung. Ich bin als Frau natürlich geprägt von der Schönheit, wie sie in Magazinen und TV präsentiert wird, und nu bin ich doppelt so alt wie diese Damen, das ist somit ein tatsächlich abgefahrener Zug, sogar der Bahnsteig ist schon wieder leer sozusagen. Ich kann dabei, wie bestimmt viele Frauen, mit Leichtigkeit darüber hinwegsehen, dass ich auch als junger Hüpfer dem Ideal nicht wesentlich näher war, trotzdem war die Wegstrecke für das wäre-könnte-würde mit 30 um Lichtjahre kürzer, da man das Raumzeitkontinuum nicht extra verlassen musste. Man darf also die Wertung, die man den nein- Sagern unterstellt, nicht auf sich selber anwenden, das erfordert ein gewisses Mass an Disziplin. Leicht fällt das zB mit einem Rückgriff auf die romantische innersubjektive Rollenverteilung, die viele von uns noch aus den eigenen Frühzwanzigern erinnern: Das Weeesentliche ist dem Auge unsichtbar.

3 Es gibt einen Aspekt beim Umgang mit dem weiblichen Älterwerden, der mich richtig wütend macht, und das ist nicht einmal der hysterische Tonfall in den (vor allem) Print-Medien bei dem Thema. Das sind die Kriegsmetaphern, mit denen dieses Thema abgehandelt wird, es geht immer um Werte oder Chancen, um Erfolge, um Siege oder Niederlagen, nichts ist einfach so, wie es ist. Der Krieg ist dabei einfach das liebste Bilderfeld für alle irgendwie ökonomischen Themen. Markt! Genau, der böse Markt gibt uns Frauen den Rest. Wir haben keinen Marktwert mehr, außer wir kaufen selber. Und weil ja die Arbeitsstelle, die Beschäftigung in der allg. Meinungsbildung immer noch über Wohl oder Wehe einer Biographie entscheidet, und man als Ü-40 nicht mehr jeden Job bekommt, darum hat man dann sogar ökonomisch einen geringen Wert. Und das diese Verachtung von Lebensläufen, das immer und immer nur auf Faltenvermeidung ausgelegte Magazingeschwätz (Faltengestaltung, das wär doch mal was) ausschließlich der Geldmacherei dient, wie eine riesige fette self-fulfilling prophecy, das ist schon wieder fast lustig.

4 Die Themen Schönheit und Alter sind eminent weibliche, man schleppt sie als Zustand oder als Prozess so mit sich herum und kann sich seinen Platz auf beiden Skalen nicht aussuchen. Zum Glück sind Idealbilder im Alltag nicht notwendig, sonst gäbe es ja überhaupt keine Anziehung untereinand. Denn es stimmt ja, das unter den Gründen für oder gegen Freundschaften und Beziehungen Alter und Aussehen auf jeden Fall einen mal kleinen mal größeren Platz innehaben, andrerseits überlebt die Schönheit, für die ich schon relativ anfällig bin, das Kennenlernen häufig nicht, sie verschwindet in Blicken oder Gesten oder einem Lachen. Bei den Männergeschichten zumindest war dann das Aussehen letztlich nicht zentral, nicht eimal der Busen oder der Bauch oder sowas, weil man dann ja den ganzen Menschen vor der Nase oder im Arm hat, und das ist ja immer so aufregend, da verschwinden die Teile im Ganzen. (Also ich hoffe zumindest, dass das bei den Männern genauso ist.)

5 Neulich Charlotte Rampling (60) in einem TV-Interview gesehen, die von einem anderen 60- jährigen Komplimente bekommt: „Was ist das Geheimnis ihrer Schönheit, sie sind so schön wie eh und je?‟ Charlotte bedankt und freut sich, und dann philosophieren sie über die Schönheit, der Interviewer: „ ...die in unsreren Blutzellen sitzt und also von innen kommt‟, und Charlotte: „Ausschließlich, wenn die Schönheit von innen kommt, dann ist sie auch sichtbar, sie ist zeitlos und hat nichts mit körperlichen Attributen zu tun". Sowas ist natürlich Blödsinn. Schönheit kommt nicht von innen, Geist oder Witz oder Mundgeruch kommen von innen, und vielleicht ist es der Geist oder der Witz, die Schönheit zum Strahlen bringen, aber wie wirklich alle guten Dinge ist sie vergänglich. Es kommt dafür etwas hinzu, die Mimik wird viel durchlässiger im Alter, das gelebte Leben spricht immer mit, es gibt viel zu sehen, auch in diesen Falten. Also weg vom etwas statuarischen Ideal, hin zu einem Glanz, der sich aus Umständen, Lichtverhältnissen und Gefühlen ergibt, einer nicht reproduzierbaren Schönheit, die dann vielleicht tatsächlich im Auge des Betrachters liegt.

6 Ein guter Freund von mir ist 60plus Jahre alt. Seine Freundin ist Mitte Vierzig. Er hat mir auch schon den Hof gemacht, die Altersdifferenz ist nichts, was er als Problem wahrnehmen würde: Es ist frei von Wertung, sein Alter. Aber Frauen sind doch auch empfänglich für die Anziehung der -äh- Jugend, trotzdem gibt es viel weniger Liasons zwischen 60jährigen Damen und flotten Vierzigern. Entscheidet der gesellschaftliche Konsens auch über Verliebungen? Oder ist doch alles genetisch und Frauen die glatte Haut einfach nicht so wichtig wie Weisheit und andere Attribute der Reife (Knete)?
Annette Kuss, die gerade über Anti-Aging arbeitet, hat von afrikanischen Lebensformen erzählt, in denen sich ältere Frauen oft mit jüngeren Liebhabern schmücken und ihre Rundungen und ihr Alter mit einem selbstverständlichem Stolz spazierentragen, der Wertekanon beeinflusst die Wahrnehmung genau wie die Erziehung, nix Gene. Wir europäische Frauen in den Vierzigern müssen die Arbeit alleine machen, und es gibt dummerweise kaum verfügbare Vorbilder, es gibt außerhalb von Rentenplänen und Liftingcremes keine Vorbereitung auf das Älterwerden und die notwendige Neuverortung, jede kämpft allein und muss private Rituale entwickeln.

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