Surge ai mortali per diverse foci/ la lucerna del mondo
Lustigerweise bei Lektüre eines Goncourt- Kommentars bei Malorama (hab Spass mit deinem Dichter) ist mir eingefallen, wie das bei mir war, früher, mit der Bildung. Da saßen wir also an den Samstagen, so gegen 14 Uhr nachmittags, im gelbgoldenen italienischen Herbstlicht....nein, es war ein graues, nur bisschen durch Sonne gesprengseltes Licht, weil wir uns vor einer eher hässlichen Betonwand befanden, in der durch Panzerglas gesicherte Fenster steckten wie Nadeln in einem Heuhaufen (äh. Egal). Wir strömten auf die Stufen vorm Eingang, guckten herum und redeten, wir waren keine Schüler, sondern dieser Haufen kleiner Kontingente Kontinente mit komplexen außenpolitischen Beziehungen, mehr oder weniger scharfen Waffen und einem großen inneren Schwerpunkt auf dem Thema Äußerlichkeiten. 14 Jahre alt waren wir.
An den Samstagen wurden viele Schüler von den Eltern mit dem Auto abgeholt, weil die Wochenendhäuser im Mailänder Umland besucht wurden. Gerede, Hallos, Blicke. Sehr bunt alles, so ein Treiben eben, die Großen rauchen schon, die Zeit spielt entspannt mit ihrer Beute. Nach einer Dreiviertelstunde sind die meisten weg, es wird ruhiger, man steht und guckt so vor sich hin. Meine Eltern kamen meistens später, weil sie komplizierte Reisende waren. Ich saß dann oft schon allein auf der kleinen Treppe vor der Schule und dachte über alles und nichts oder die Verheißungen einer Dauerwelle nach (mit 14 kann alles anders werden mit einer Dauerwelle), und oft kam dann ein Herr mit Hut und Mantel vorbei, ein alter Herr, der freundlich grüßte und manchmal kurz stehenblieb, auf seinem Spaziergang in den Park. Er erinnerte mich an Herrn Fumagalli, meinen Italienisch-Lehrer, bei uns ein Fach wie Deutsch in Deutschland, der von der Divina Commedia nicht nur die ersten Zeilen konnte, sondern sowieso einen Lyrikschwerpunkt hatte, Leopardi, Ungaretti, Saba, Sereni, und natürlich den einzig noch lebenden, Eugenio Montale. Herr Fumagalli versuchte sein bestes, um uns etwas, überhaupt etwas nahezubringen, Montale! Ihr könntet sogar mit ihm reden! Er wohnt in der Brera, er kommt hier vorbei, an eurer Schule, mit seinem Hut!.
Kein Durchdringen möglich bei uns, soweit ich mich erinnern kann. Herr Fumagalli war schwerhörig, und wir wußten das zu nutzen, während er mit kräftiger Stimme und einen Tick zu laut über den Algerienkrieg sprach, als wäre er selber dabei gewesen. Ich weiß nichts mehr von diesen Stunden, keinerlei Lehrinhalte, aber die Leidenschaft, mit so einer altmodischen kultivierten Grandezza vorgetragen, die weiß ich noch. Dass man Literatur nicht nur in den Exitus analysieren (die 68-er Deutsch-Lehrer zu der Zeit) oder sammeln, sondern lieben konnte, das kam uns komisch vor.
Es war knapp. Immerhin. Es waren 2 Meter. Hätte, wäre, ach könnte ich mich doch an einige Sätze erinnern mit Montale, ach wäre ich nicht so ein dummes ignorantes kleines Mädchen gewesen, dem alte Herren vollkommen schnuppe waren. Ich sass da also immer Samstags mit Haar-, Mathe- und Weltproblemen, mit dieser Frühnachmittagslangeweile, und der größte und mir –heute!– allerliebste italienische Dichter lief unbeachtet und ohne den geringsten Kontakt an mir vorbei.
Serenata Indiana
È pur nostro il disfarsi delle sere
E per noi è la stria che dal mare
sale al parco e ferisce gli aloè.
Puoi condurmi per mano, se tu fingi
Di crederti con me, se ho la follia
Di seguirti lontano e ciò che stringi,
ciò che dici, m’appare in tuo potere.
(...)
An den Samstagen wurden viele Schüler von den Eltern mit dem Auto abgeholt, weil die Wochenendhäuser im Mailänder Umland besucht wurden. Gerede, Hallos, Blicke. Sehr bunt alles, so ein Treiben eben, die Großen rauchen schon, die Zeit spielt entspannt mit ihrer Beute. Nach einer Dreiviertelstunde sind die meisten weg, es wird ruhiger, man steht und guckt so vor sich hin. Meine Eltern kamen meistens später, weil sie komplizierte Reisende waren. Ich saß dann oft schon allein auf der kleinen Treppe vor der Schule und dachte über alles und nichts oder die Verheißungen einer Dauerwelle nach (mit 14 kann alles anders werden mit einer Dauerwelle), und oft kam dann ein Herr mit Hut und Mantel vorbei, ein alter Herr, der freundlich grüßte und manchmal kurz stehenblieb, auf seinem Spaziergang in den Park. Er erinnerte mich an Herrn Fumagalli, meinen Italienisch-Lehrer, bei uns ein Fach wie Deutsch in Deutschland, der von der Divina Commedia nicht nur die ersten Zeilen konnte, sondern sowieso einen Lyrikschwerpunkt hatte, Leopardi, Ungaretti, Saba, Sereni, und natürlich den einzig noch lebenden, Eugenio Montale. Herr Fumagalli versuchte sein bestes, um uns etwas, überhaupt etwas nahezubringen, Montale! Ihr könntet sogar mit ihm reden! Er wohnt in der Brera, er kommt hier vorbei, an eurer Schule, mit seinem Hut!.
Kein Durchdringen möglich bei uns, soweit ich mich erinnern kann. Herr Fumagalli war schwerhörig, und wir wußten das zu nutzen, während er mit kräftiger Stimme und einen Tick zu laut über den Algerienkrieg sprach, als wäre er selber dabei gewesen. Ich weiß nichts mehr von diesen Stunden, keinerlei Lehrinhalte, aber die Leidenschaft, mit so einer altmodischen kultivierten Grandezza vorgetragen, die weiß ich noch. Dass man Literatur nicht nur in den Exitus analysieren (die 68-er Deutsch-Lehrer zu der Zeit) oder sammeln, sondern lieben konnte, das kam uns komisch vor.
Es war knapp. Immerhin. Es waren 2 Meter. Hätte, wäre, ach könnte ich mich doch an einige Sätze erinnern mit Montale, ach wäre ich nicht so ein dummes ignorantes kleines Mädchen gewesen, dem alte Herren vollkommen schnuppe waren. Ich sass da also immer Samstags mit Haar-, Mathe- und Weltproblemen, mit dieser Frühnachmittagslangeweile, und der größte und mir –heute!– allerliebste italienische Dichter lief unbeachtet und ohne den geringsten Kontakt an mir vorbei.
Serenata Indiana
È pur nostro il disfarsi delle sere
E per noi è la stria che dal mare
sale al parco e ferisce gli aloè.
Puoi condurmi per mano, se tu fingi
Di crederti con me, se ho la follia
Di seguirti lontano e ciò che stringi,
ciò che dici, m’appare in tuo potere.
(...)